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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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mit!«, befahl Arne.
    Gemeinsam mit seinem kleinen Bruder trottete Jo den steilen, steinigen Abhang hinunter. Seine kleine Schwester lag in ihrem Buggy. Eine kleine Familie. Wenn er nun einfach mit Truls und Nini abhaute und wieder nach Hause fuhr? Nein, nicht nach Hause. Lieber an einen anderen Ort, an dem er sich einen Job beschaffen und für ihren Unterhalt sorgen konnte. Dann mussten sie Arne nicht mehr sehen und bekamen nicht mehr mit, wie sich die Mutter um den Verstand soff, Gläser zerbrach und sich vor fremden Menschen danebenbenahm.
     
    Aber das war noch lange nicht das Schlimmste, was an ihrem ersten Ferientag geschah. Das geschah am Abend. Jo bringt Nini ins Bett, nachdem er ihr die Allergiemedizin und das Schlafmittel gegeben hat. Flößt es ihr mit sanfter Gewalt ein, obwohl sie protestiert. Die Mutter hat ihm ein ums andere Mal gesagt, dass er nicht vergessen darf, ihr alle vier Tabletten zu geben, bevor er sie ins Bett bringt. Und dann erzählt Truls ihm plötzlich, dass ihre Mutter Nini die Tabletten schon gegeben hat, bevor sie hinausging. Sie hat vergessen, es Jo zu sagen. Also hat Nini heute die doppelte Dosis bekommen. Kein Wunder, dass sie jetzt schläft wie ein Stein. Liegt da, ohne sich zu rühren.
    Jo bleibt eine Zeitlang bei ihnen sitzen. Truls hat einen Stapel Phantom-Comics neben sich, die er von Arne bekommen hat. Truls sagt, Arne sei cool, weil er ihm seine alten Comics überlasse. Das geht nur die beiden etwas an. Arne hat die Comics seit seiner Kindheit gesammelt. Er war Mitglied des Phantom-Klubs und besaß den berühmten Siegelring des Helden. Auch den hat Truls übernommen. Jo nimmt von Arne schon lange nichts mehr an. Und wenn, dann stopft er es tief in seinen Kleiderschrank und kümmert sich nicht mehr darum. Ob es nun ein ManU-Trikot ist oder die Eintrittskarte zu einem Fußballspiel.
    Ein weiteres Mal beugt er sich zu Nini hinab, um sich zu vergewissern, dass sie atmet. Ihre Atemzüge sind langsam und tief, also haben ihr die zusätzlichen Pillen offenbar keinen Schaden zugefügt. Dennoch nimmt er sich vor, ins Restaurant zu gehen und seine Mutter zu fragen. Sicherheitshalber. Obwohl ihm allein der Gedanke, ihr in ihrem jetzigen Zustand gegenüberzutreten, Übelkeit bereitet.
     
    Aus den Lautsprechern, die sich auf der Bühne befinden, dröhnt ihm Musik entgegen. Irgend so ein Discozeugs. Weder die Mutter noch Arne ertragen es, wenn er zu Hause die Musik aufdreht, doch hier gelten andere Regeln. So ist das eben in den Ferien. Regeln werden geändert oder fallengelassen.
    Er sieht nur fremde Gesichter, als er sich im Restaurant umsieht. Hofft, dass seine Mutter und Arne nicht da sind. Dass sie vielleicht spazieren oder woanders hingegangen sind, oder vielleicht sind sie schon wieder zurück in der Wohnung … Da entdeckt er seine Mutter an einem Tisch im hintersten Winkel des Raumes. Ihr Kopf lehnt an der Schulter eines Mannes, den Jo noch nie gesehen hat. Arne vergnügt sich auf der Tanzfläche. Er und der Typ, an dem die Mutter klebt, haben offenbar die Frauen getauscht. Und Arne knutscht jetzt mit einer Schmalen, Dunkelhaarigen auf der Tanzfläche herum. Er steht auf schlanke Frauen und grinst immer, wenn er Mutter am Bauch packt und ihre Speckrollen über den Hosenbund zieht.
    Jo bleibt an der Terrassentür stehen. Er spürt immer noch das Meer in seinem Körper. Er könnte hinunterschleichen, ehe die Erwachsenen ihn entdecken, und sich erneut in die Brandung werfen, ohne die Wellen zu sehen, die im Dunkeln heranrollen. Einfach spüren, wie sie ihn hinabziehen und hin und her schleudern. Doch wenn er nicht in der Bar bleibt, könnte der Mutter etwas zustoßen. Sie könnte die Treppe runterfallen, vergewaltigt werden oder im Swimmingpool ertrinken. Arne kümmert sich sowieso nicht.
    Plötzlich steht die Mutter schwankend auf und fällt nach vorne. Der fremde Mann fängt sie auf, ehe sie den Tisch umreißen kann. Zwei, drei Gläser kippen über die Kante. Alle drehen sich um und glotzen in ihre Richtung. Die Frau, mit der Arne tanzt, eilt an den Tisch. Sie schlingt die Arme um Mutters Taille und ruft ihr etwas zu. Sie und der Fremde helfen ihr den Absatz hinauf, der zur Theke führt. Sie gehen direkt an Jo vorbei. Die Mutter ist leichenblass und scheint ihn nicht zu erkennen. Ihr Rock ist nach oben gerutscht und gibt ihren Slip frei. Sie torkelt weiter, gestützt von der schmalen Frau. Als sie auf die Toilette verschwinden, folgt ihnen Jo und wartet vor der Tür. Er hört
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