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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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»Vielleicht ein Soldat?«
    »Wohl eher ein Handelsreisender. Er treibt schon seit vierzehn Tagen im Meer. Ist nicht mehr viel übrig von ihm außer den Knochen. Haut und Muskeln sind größtenteils verschwunden. Er war ziemlich reich, aber was hat er jetzt davon? Jetzt befindet er sich in einer anderen Welt und hört nicht mal mehr das Schreien der Möwen.«
    Plötzlich ist Jo leichter ums Herz. Anscheinend redet Jakka wirklich gerne mit ihm und tut nicht nur so.
    »Gute Art zu sterben«, versucht er sich und wirft dem Mann im flackernden Kerzenlicht einen verstohlenen Blick zu.
    Jakka sitzt da und studiert sein Gesicht.
    »Ich habe über das Gespräch von gestern Abend nachgedacht«, sagt er schließlich.
    Dieser Mann war schon mehrmals im Fernsehen, und jetzt sitzt er leibhaftig einen Meter von Jo entfernt und denkt über etwas nach, das ein Zwölfjähriger zu ihm gesagt hat. Plötzlich ist Jo auf der Hut.
    »Gab es da … so viel nachzudenken?«
    Jakka zündet sich eine Zigarette an.
    »Hast du auch eine für mich?«
    »Was glaubst du, was deine Mutter dazu sagt, wenn ein fremder Mann dich zum Rauchen verführt?«
    Jo schnaubt verächtlich.
    »Damit hat sie nichts zu tun. Wird sie sowieso nicht rauskriegen. Und wenn sie’s rauskriegt, ist es ihr scheißegal. Außerdem hab ich schon oft geraucht.«
    Jakka gibt ihm seine Zigarette.
    »Du musst dich mit einem Zug begnügen. Wenn du was erzählst, kriege ich Ärger. Es muss nicht viel passieren, und ich lande auf der Titelseite von
VG, Dagbladet, Se og Hør
und so weiter.«
    Jo grinst.
    »Da würde ich wohl ziemlich viel Geld für die Story kriegen.«
    »Stimmt«, sagt Jakka. »›Prominenter verführt Jungen im Urlaub mit Zigaretten‹.«
    Jetzt muss Jo lachen. Er zieht lange und intensiv an der Zigarette und spürt sofort, wie der herrliche Schwindel einsetzt.
    »Ich sehe dich immer alleine hier«, sagt er, nachdem er einen weiteren Zug genommen hat.
    »Ich
bin
alleine.«
    »Fährst du alleine in Urlaub? Hast du keine Familie oder so was?«
    Erneut wirft ihm Jakka einen langen Blick zu.
    »Ich musste einfach weg von zu Hause«, antwortet er und lehnt sich zurück. »Hab mich spontan entschieden, bin in das nächstbeste Flugzeug gestiegen und zufällig hier gelandet. Überraschend schöner Ort. Vielleicht werde ich hier ein Haus kaufen.«
    Es gibt nicht viele Erwachsene, die ein solches Leben führen. Die sich von heute auf morgen ins Flugzeug setzen und ein Haus auf Kreta kaufen, wenn sie Lust dazu haben.
    »Die Sache mit deiner Mutter hat sich also nicht geklärt?«
    Aus irgendeinem Grund kehrt Jakka zu dem Thema zurück, über das Jo am allerwenigsten reden will. Er antwortet nicht, und Jakka scheint endlich zu verstehen. Jedenfalls lässt er das Thema auf sich beruhen. Stattdessen beginnt Jo von dem Mädchen in der Nachbarwohnung zu erzählen. Sie hat lange Beine und richtige Brüste, sieht einfach gut aus. Ein bisschen hochnäsig vielleicht, eine Prinzessin eben.
    »Und was willst du jetzt tun?«, will Jakka wissen und reicht ihm erneut seine Zigarette.
    »Tun?«
    »Na, um Kontakt zu ihr aufzunehmen. Du willst doch wohl nicht weiter einfach nur rumsitzen und von ihr fantasieren.«
    Jo hat keine bestimmten Pläne, nimmt aber gern Tipps von jemand entgegen, der in dieser Hinsicht bestimmt sehr erfahren ist.
    »Wie heißt sie?«
    Jo zuckt die Schultern.
    »Das solltest du erst mal rausfinden«, sagt Jakka. »Wenn du ihren Namen kennst, verschafft dir das einen Vorteil. In welchem Appartement wohnst du?«
    »1206.«
    »Na also, warte mal kurz.«
    Jakka steht auf und verschwindet im Inneren des Hotels. Hier zu sitzen, nachdem er fort ist, tut Jo gut. Auf der anderen Seite der Mauer, weit unterhalb der Terrasse, hört er die Wellen schlagen. Ein blinkendes Licht in der Dunkelheit, ein Schiff auf dem Weg durch die Nacht. Und legt Jo den Kopf in den Nacken, sieht er Sternbilder, die er nicht kennt, sowie einen Satelliten, der sich dazwischen hin und her bewegt.
    Vier, fünf Minuten später ist Jakka zurück. Er hat zwei Cola in der Hand, gibt Jo eine und lässt sich wieder auf dem Liegestuhl nieder.
    »Sie heißt Ylva.«
    »Wer?«
    Jakka grinst.
    »Das Mädchen, von dem du mir erzählt hast. Sie heißt Ylva Richter. Hat mich nur eine Frage an der Rezeption gekostet.«
    Jos Augen werden zu schmalen Strichen.
    »Dachte, ich könnte dir ein bisschen Starthilfe geben«, sagt Jakka in verändertem Tonfall. Vielleicht hat er Jos Unruhe bemerkt. »Ein gesundes Interesse an
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