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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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Mutter aufwacht. Dann muss er nicht miterleben, wie sie sich ins Bad schleppt und erneut übergibt. Das hat sie schon die ganze Nacht gemacht, doch Truls hat tief und fest geschlafen. Nini natürlich auch, nach ihrer doppelten Dosis Schlafmittel.
    Es dauert eine halbe Stunde, bis die kleine Schwester ihre Cheerios und einen Joghurt gegessen hat. Arne stapft missmutig umher, sagt aber nichts, solange sich Jo um die Kleinen kümmert. Dann stopft er Schwimmflügel, einen Badeball und Truls’ Taucherbrille in eine Plastiktüte, drückt sie Jo in die Hand und scheucht sie aus der Wohnung.
    »Heiß!«, schreit Nini und trippelt hin und her, als stünde sie auf einer Kochplatte. Jo muss sie in den Buggy verfrachten, noch mal hineingehen und ihre Sandalen holen.
    Am Pool stellt er den Buggy neben einem freien Liegestuhl ab und zieht Nini die Schwimmflügel über die kreideweißen Arme. Sonnencreme!, fällt ihm ein, aber er hat keine Lust, noch mal zur Wohnung zurückzugehen.
    »Jetzt musst du gut aufpassen!«, ermahnt er Truls.
    »Wo willst du hin?«
    »Kurz runter an den Strand.«
    »Ich komm mit!«
    »Auf keinen Fall! Du bleibst hier und passt auf Nini auf. Glaubst du etwa, du bist hier im Urlaub?«
    Truls bekommt den traurigen Dackelblick, den Jo nicht ausstehen kann.
    »Komm schon, Kleiner. Wirst doch wohl einen Spaß vertragen. Ich bleib auch nicht lange. Pass auf, dass sie die Schwimmflügel ordentlich anhat.«
    Er schnappt sich sein Handtuch und setzt sich in Bewegung, dann dreht er sich noch einmal um:
    »Blas die Schwimmflügel gut auf. Wenn sie ertrinkt, ist es deine Schuld!«
     
    Er läuft die Treppe hinunter. Die Sonne sticht wie verrückt. Er hasst die Hitze. Hockt sich am Ende des Strands in den Schatten eines Felsens. Aber selbst dort brennt der Sand unter den Füßen. Er will einfach so dasitzen, bis er überkocht. Bis er es nicht mehr aushält und sich ins Meer stürzt. Heute ist grün geflaggt. Das Meer liegt unbeweglich da.
    Jungen in seinem Alter spielen Volleyball. Er sieht, dass sie ziemlich gut sind, vor allem ein großgewachsener Junge mit blonden Locken. Er schaut ihnen zu. Der große Junge bemerkt ihn und winkt. Jo versteht nicht gleich, dass er gemeint ist. Er schiebt sich aus dem Schatten und macht ein paar Schritte im glühenden Sand.
    »Willst du mitspielen?«, ruft der Junge auf Norwegisch.
    Jo weiß nicht recht. Er spielt nicht besonders gut Volleyball. Fußball spielen kann er viel besser.
    »Hast du keine Kappe oder so was?«, fragt der Junge. »Da wird dir gleich das Gehirn kochen!«
    »Hab mein Basecap vergessen.«
    Der andere sieht sich um.
    »Warte mal.«
    Er spurtet bis zur ersten Reihe der Strohschirme, spricht mit ein paar Erwachsenen, die dort liegen, und kommt mit einem weißen Kopftuch mit Goldrand zurück.
    »Hier! Dann hältst du’s länger aus.«
    Jo blickt dem anderen ins Gesicht. Er kann sich nicht erinnern, ihn im Flugzeug oder im Restaurant gesehen zu haben. Aber er hat bestimmt mitbekommen, dass Jos Mutter sich besoffen und am Pool ein Glas kaputt gemacht und auf dem Klo in der Bar gekotzt hat. Dennoch sieht er weder spöttisch noch mitfühlend aus. Jo weiß nicht, was er mehr hasst.
    »Du spielst in unserer Mannschaft. Ich heiße Daniel.«
    Er sagt auch die Namen der anderen. Zwei schwedische Jungen und einer, dessen Name finnisch klingt.
    Sie gewinnen drei Sätze. Vor allem, weil Daniel an die schwierigsten Bälle herankommt und einen wahnsinnig harten Schmetterschlag hat.
    »Spielst du im Verein?«, fragt Jo.
    Daniel rümpft die Nase. Offenbar ist das kein Thema, über das er gern spricht. Er wirft T-Shirt und Schuhe von sich und rennt ins Meer hinein, dass es nur so spritzt. Die anderen folgen ihm, Jo auch. Alle Jungen scheinen schon länger hier zu sein. Sie sind ziemlich braun. Jos Körper hat seit Monaten keine Sonne mehr abbekommen. Er behält das gelbe T-Shirt an.
    »Zu den Bojen!«, ruft Daniel.
    Jo reagiert blitzschnell, wirft sich ins Wasser und krault, was das Zeug hält. Auf halbem Weg sieht er neben sich einen Schatten wie von einem Delphin oder einem Hai. Der Schatten zieht an ihm vorbei und ist verschwunden.
    Jo erreicht die Bojen eine Weile vor den anderen Jungen.
    »Du schwimmst gut!«, lobt Daniel, der sich entspannt an einer Boje festhält und überhaupt nicht erschöpft wirkt.
    »Bin unter Wasser am besten«, keucht Jo irritiert. Er hängt sich an dieselbe Boje wie Daniel, sodass sich ihre Gesichter fast berühren.
    »Okay, dann tauchen wir
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