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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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um ihn gelegt. Der andere Arm liegt an seinem Oberschenkel. Er spürt, dass dort unten etwas geschieht, etwas, das sie nicht merken darf, aber er schafft es nicht, sich von ihr wegzudrehen, weil sie ihn immer enger an sich drückt. »Du bist ein lieber Junge, Jo. Du bist so lieb … so lieb.«
     
    Die Mutter winselt im Schlafzimmer, übertönt von Arnes Schnarchen. Jo hat im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen. Wer schnarcht, stirbt früher oder bekommt Herzprobleme.
    »Ich hab Hunger!«, quengelt Nini.
    »Ich finde was für dich.«
    »Nein, ich will Mama.«
    »Die schläft.«
    »Mama!«
    »Dann mach’s halt selber«, faucht Jo. »Im Kühlschrank ist Joghurt.«
    Sie hat Tränen in den Augen.
    »Mag keinen Joghurt.«
    Er hat Lust, ihr eine zu scheuern, der plärrenden Göre. Oder die Schlafzimmertür aufzureißen und seine Mutter an den Haaren aus dem Bett zu zerren.
Nini hat Hunger, kapierst du das nicht, du alte Schlampe? Sie ist drei Jahre alt und hat Hunger!
Wenn Arne aufsteht und den dicken Macker markiert, wird er eine Bierdose aus dem Kühlschrank nehmen und sie in seine verdammte verschlafene Fresse schleudern.
    »Wir gehen einfach frühstücken«, schlägt Truls vor und zieht seine Shorts an. »Dann nehmen wir Nini hinterher mit zum Strand.«
    Jo fährt herum und hebt die Hand, um ihm eine zu knallen. Truls springt zurück, und Jo lässt ihn in Ruhe. Sein kleiner Bruder kommt ständig mit Vorschlägen. Das nervt, aber er meint es ja nicht böse.
    »Okay.« Jos Zorn lässt nach. »Hilf Nini aufs Klo. Ich geh schon vor und halte einen Tisch frei.«
    Es ist halb neun. Der Speisesaal ist wie immer voller Leute. Er bleibt am Eingang stehen und sondiert die Lage. Zum Glück sind alle mit sich selbst beschäftigt. Nur ein paar Alte, die der Tür am nächsten sitzen, starren ihn an. Eine Frau, die ein weißes Stirnband um die grauen Haare trägt, flüstert ihrem Nebenmann etwas zu. Jo ist sicher, dass es um ihn geht. Um Mutter und Arne. Er dreht sich wieder um und will gehen, als jemand seinen Namen ruft. Daniel steht von seinem Stuhl auf der Terrasse auf und winkt ihm zu. Als Jo nicht reagiert, kommt er zu ihm.
    »Möchtest du nicht bei uns sitzen?«
    Daniel trägt ein Metallica-T-Shirt, dunkelrote Shorts und eine Sonnenbrille, die ziemlich cool und teuer aussieht. »Bei uns ist noch Platz.«
    Jo wirft einen Blick hinüber. Mit dem Rücken zu ihm sitzt eine Frau in einem dünnen Kleid, deren Haare dunkler als Motoröl sind. Neben ihr ein kräftiger Mann, und am Tischende ein Junge in Ninis Alter. Eine Familie, die gemeinsam am Frühstückstisch sitzt. Sie haben noch einen freien Platz auf der glühend heißen Terrasse. Jemand könnte zu ihnen an den Tisch gehen und alles mit einem riesigen Hammer kurz und klein schlagen.
    »Die anderen kommen gleich«, sagt Jo. »Ich muss einen Platz für uns alle finden.«
    »Bist du nachher beim Strandfußball dabei?«
    Daniel gibt nicht auf, wartet auf eine Antwort. Es darf jetzt nichts geschehen, durchzuckt es ihn. Nicht vor Daniel, seiner Familie und all den anderen Leuten. Er erblickt einen freien Tisch und geht dorthin. Er ist noch nicht abgeräumt worden. Teller, an denen noch Reste von Rührei und gebratenem Speck kleben. Ein paar Traubenkerne in einer Serviette, Kaffeepfützen in den Tassen. Truls taucht auf und zieht Nini hinter sich her. Jo sagt ihm, er soll den Tisch abräumen. Für Nini holt er eine große Schale mit Cornflakes.
    »Ich will Honni-Korn!«, protestiert sie.
    »Du isst das, was da ist!«, knurrt er, und dieses eine Mal versteht sie, dass es keinen Zweck hat, länger zu quengeln. »Schau her, vier Löffel Zucker, das wird dir schmecken.«
    Truls lacht laut. Er hat sich selbst mit Bratwürstchen, gebratenem Speck und jeder Menge Ketchup versorgt.
    »Super hier!«, kräht er.
    Jo isst lustlos ein Brot mit Marmelade, während er den Tisch beobachtet, an dem Daniels Familie sitzt. Die Mutter steht auf und geht zum Ausgang. Sie ist schlank und ihr schwarzes Kleid eng geschnitten. Auch der Vater hat sein Frühstück beendet, bleibt jedoch sitzen und hört Daniel zu, der ihm irgendwas erzählt. Seine Haare kräuseln sich im Nacken, und er sieht aus, als hätte er viel Krafttraining gemacht.
     
    Sie, auf die er gewartet hat, betritt den Raum, gefolgt von dem dicken, blonden Mädchen. An einem Tisch, unweit von Daniel direkt hinter der Schiebetür, legen sie ihre Badehandtücher ab. Weniger als zwei Meter von ihm entfernt gehen sie an ihm vorbei zum
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