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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten
Autoren: Glenn Cooper
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auf Senden.
    Dreißig Sekunden später klingelte sein Telefon. Sanchez war dran.
    »Willkommen daheim«, sagte sie zuckersüß.
    »Schön, wieder da zu sein, Susan«, sagte er mit seinem Südstaatenakzent, der sich jedoch in all den Jahren, die er schon aus Florida weg war, ziemlich abgeschwächt hatte.
    »Kommen Sie kurz bei mir vorbei, okay?«
    »Wann wäre es Ihnen denn recht, Susan?«, fragte er.
    »Sofort!« Sie legte auf.
    Sie saß an seinem alten Schreibtisch in seinem alten Büro, von dem aus man dank Mohammed Atta einen hübschen Ausblick auf die Freiheitsstatue hatte, aber der reizte ihn nicht so sehr wie die verkniffene Miene seiner Chefin. Sanchez war eine Fitnessfanatikerin, die Gesundheitsratgeber und Selbsthilfebücher für Manager las, während sie trainierte. Rein körperlich fand er sie immer noch ganz attraktiv, aber ihr säuerlicher Gesichtsausdruck und der nasale, dienstliche Tonfall mit dem spanischen Einschlag hatten dafür gesorgt, dass er jedes Interesse verlor.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie rasch. »Wir müssen reden, Will.«
    »Susan, wenn Sie mich kritisieren wollen, bin ich bereit, die Sache professionell zu nehmen. Regel Nummer sechs, oder war es Nummer vier? – Wenn Sie das Gefühl haben, provoziert zu werden, handeln Sie nicht voreilig. Halten Sie inne und überdenken Sie die Folgen Ihres Verhaltens, danach wählen Sie Ihre Worte sorgfältig und bedenken Sie die Reaktionen der oder des Menschen, der Sie zur Rede stellt. Ziemlich gut, was? Ich habe eine Urkunde bekommen.« Er lächelte und faltete die Hände auf seinem Bauchansatz.
    »Ich bin heute nicht in der Stimmung für Ihren Blödsinn«, sagte sie genervt. »Ich habe ein Problem und brauche Ihre Hilfe.« Das war der Vorgesetztencode für: Du wirst gleich über den Tisch gezogen.
    »Für Sie tue ich doch alles. Solange ich mich dabei nicht ausziehen oder die nächsten vierzehn Monate auf dem Kopf stehen muss.«
    Sie seufzte, hielt dann inne und vermittelte Will damit den Eindruck, dass sie sich Regel Nummer vier oder sechs zu Herzen nahm. Er war sich bewusst, dass sie ihn für ihren größten Problemfall hielt. Jeder auf der Dienststelle wusste Bescheid:
    Will Piper. Achtundvierzig, neun Jahre älter als Sanchez. Ehemals ihr Boss, bis er aus seiner leitenden Stellung flog und wieder zum Special Agent degradiert wurde. Einstmals atemberaubend gut aussehend, deutlich über eins achtzig groß, mit breiten Schultern, strahlend blauen Augen und jungenhaft zerzausten rotblonden Haaren, bis er durch Alkohol und Bewegungsmangel schlaff und aufgedunsen wurde. Ein ehemaliges Ass, das zu einem oberflächlichen, ständig auf die Uhr schauenden Loser mutiert war.
    Sie fasste sich kurz. »John Mueller hatte vor zwei Tagen einen Schlaganfall. Die Ärzte sagen, er wird wieder, aber vorerst ist er krankgeschrieben. Sein Ausfall, ausgerechnet jetzt, stellt die Dienststelle vor ein Problem. Benjamin, Ronald und ich haben schon darüber gesprochen.«
    Will wunderte sich über diese Neuigkeit. »Mueller? Der ist doch jünger als Sie! Ein verdammter Marathonläufer. Wie, zum Teufel, kann ausgerechnet er einen Schlaganfall kriegen?«
    »Er hatte ein Loch im Herzen, das vorher kein Arzt erkannt hat«, sagte sie. »Ein Blutgerinnsel aus seinem Bein ist hindurchgetrieben und ins Gehirn geraten. So hat man es mir erklärt. Ziemlich beängstigend, dass so was passieren kann.«
    Will verabscheute Mueller. Ein selbstgefälliger, magerer Scheißkerl. Alles streng nach Vorschrift. Absolut unerträglich. Der Mistkerl ließ ihm gegenüber immer noch spitze Bemerkungen über seinen Karriereknick fallen, weil er sich für unfehlbar hielt und Will als Aussätziger galt. Hoffentlich bleibt er bis ans Ende seiner Tage ein Krüppel, war der erste Gedanke, der Will durch den Kopf ging. »Das ist ja furchtbar«, sagte er stattdessen.
    »Sie müssen die Doomsday-Sache übernehmen.« Doomsday, so nannten sie den Fall, weil der Mörder so unbarmherzig vorging wie ein Vollstrecker des Jüngsten Gerichts.
    Will bot fast übermenschliche Kräfte auf, um ihr nicht zu sagen, sie könne ihn mal.
    Es hätte von Anfang an sein Fall sein sollen, genau genommen fand er es sogar unfassbar, dass er nicht sofort damit betraut worden war. Er war schließlich einer der versiertesten Experten für Serienmorde in der jüngeren Geschichte des FBI, und trotzdem wurde er bei einem aufsehenerregenden Fall übergangen, der in seine Zuständigkeit fiel. Vermutlich war das ein Gradmesser dafür,
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