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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten
Autoren: Glenn Cooper
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und hob den weißen Pudel hoch, der ihm mit seiner rosa Zunge das Gesicht ableckte und wie wild mit dem geschorenen Schwanz wedelte. »Aber nicht auf Daddys Schlips pissen, ja? Mach das bloß nicht. Braver Junge, braver Junge. Schatz, ist Bloomie schon ausgeführt worden?«
    »Pete hat gesagt, Ricardo war um vier mit ihm draußen.«
    Er setzte den Hund ab und sortierte wie gewohnt die Post in Stapel. Rechnungen. Bankauszüge. Müll. Persönliches. Seine Kataloge. Ihre Kataloge. Zeitschriften. Eine Postkarte?
    Eine schlichte weiße Postkarte mit seiner Adresse in schwarzer Maschinenschrift. Er drehte sie um.
    Ein Datum war auf die andere Seite getippt worden: 22. Mai 2009. Morgen. Und daneben war eine Zeichnung, die ihn augenblicklich beunruhigte. Es waren die unverkennbaren Umrisse eines Sarges, etwa zweieinhalb Zentimeter lang, von Hand mit Tinte gemalt.
    »Helen! Hast du das hier gesehen?«
    Seine Frau, deren Stöckelschuhe auf den Marmorplatten klackerten, kam in den Flur, wie üblich perfekt aufgemacht, mit einem helltürkisen Armani-Kostüm, einer zweireihigen Kette aus Zuchtperlen, die bis knapp über den Ansatz ihres Dekolletés hing, und dazu passenden Perlenohrringen, die unter ihrer makellosen Frisur hervorspitzten. Sie war eine äußerst gut aussehende Frau.
    »Ob ich was gesehen habe?«, fragte sie.
    »Das hier.«
    Sie schaute sich die Karte an. »Wer hat sie geschickt?«
    »Es steht kein Absender drauf«, sagte er.
    »Sie ist in Las Vegas abgestempelt. Wen kennst du in Vegas?«
    »Keine Ahnung, niemanden. Ich hatte dort ein paar Mal geschäftlich zu tun – aber spontan fällt mir niemand ein.«
    »Vielleicht ist es eine Werbung für irgendwas, du weißt schon, so eine Art Lockreklame«, meinte sie und gab ihm die Karte zurück. »Morgen ist bestimmt etwas anderes in der Post, das die Sache erklärt.«
    Das war gut möglich. Helen war klug und hatte gewöhnlich den richtigen Durchblick. Trotzdem. »Das wäre aber eine ziemliche Geschmacklosigkeit. Ein verdammter Sarg, ich bitte dich.«
    »Lass dir doch von so etwas nicht die Laune verderben. Noch dazu, wo wir heute ausnahmsweise einmal beide zu einer zivilisierten Zeit nach Hause gekommen sind. Ist das nicht großartig? Möchtest du zu Tutti’s gehen?« Er legte die Postkarte auf den Stapel zum Wegwerfen und griff ihr an den Hintern.
    »Bevor wir ein bisschen herumgemacht haben oder danach?«, fragte er und hoffte, dass die Antwort »danach« lauten würde.
     
    Die Postkarte ließ David den ganzen Abend keine Ruhe, obwohl er sie nicht mehr zur Sprache brachte. Er dachte daran, während sie aufs Dessert warteten, er dachte daran, als sie wieder zu Hause waren und er in ihr gekommen war, er dachte daran, als er kurz vorm Schlafengehen noch schnell Bloomie ausführte. Und der Postkarte galt auch sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, während Helen neben ihm las und der bläuliche Schein ihrer Leselampe mattes Licht in die dunklen Winkel des Schlafzimmers warf. Särge machten ihm höllisch zu schaffen. Als er neun war, war sein fünfjähriger Bruder an einem Wilms-Tumor gestorben, und der Anblick von Barrys kleinem glänzenden Sarg, der in der Aussegnungskapelle auf einem Podest gestanden hatte, verfolgte ihn immer noch. Derjenige, der diese Postkarte geschickt hatte, war schlicht und einfach ein Scheißtyp.
     
    Er wachte gegen Viertel vor fünf auf, etwa fünfzehn Minuten bevor der Wecker geklingelt hätte, und stellte den Alarm ab. Der Pudel sprang vom Bett, spielte wie üblich morgens verrückt und rannte im Kreis herum.
    »Okay, okay«, flüsterte er. »Ich komme ja schon!« Helen schlief weiter. Banker mussten lange vor Anwälten im Büro sein, daher war er für das morgendliche Ausführen des Hundes zuständig.
    Ein paar Minuten später grüßte David den Nachtportier, während Bloomberg ihn an der Leine in die kühle Morgendämmerung hinauszerrte. Er zog den Reißverschluss seines Trainingsanzugs bis zum Hals hoch, bevor er sich in Richtung Norden auf ihre übliche Runde begab. Zuerst rauf zur 82 nd Street, wo der Hund immer den Großteil seines Geschäfts verrichtete, dann in Richtung Osten, zur Lexington Avenue, wo David in einem der Starbucks für Frühaufsteher einen Kaffee trank, und dann wieder zurück zur 81 st und nach Hause. Die Park Avenue war selten menschenleer, und auch an diesem Morgen fuhr eine ganze Reihe Taxis und Lieferwagen vorbei.
    Davids Verstand lief ständig auf Hochtouren; Abschalten fand er schlichtweg lächerlich.
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