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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler
Autoren: Gert Heidenreich
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Helfer – auch Szimenjicz gab sich dafür her – ließ sich angeblich operieren, beispielsweise ließ er sich
    – scheinbar – Furunkel aus dem Nacken schneiden, die Scheinoperation ging scheinbar schief, der Nacken blieb angeblich taub, scheinbar waren Nerven durchtrennt worden … Ein eingeweihter Anwalt stellte enorme Schmerzensgeldforderungen, die Ärzte zahlten an die scheinbar von den Kunstfehlern Betroffenen, und diese brachten die Summe gegen ein saftiges Honorar nach Europa und legten sie, mit dem Nachweis, es handle sich um Schmerzensgeld, auf einem Schweizer Konto an, für das wiederum die anlagewilligen Ärzte zeichnungsberechtigt waren. Die wussten ihr Geld im Ausland und setzten dieselbe Summe abzüglich der Versicherungsleistungen als Unkosten noch einmal von der Steuer ab. Der Trick mit den fiktiven Operationen, der in sämtlichen Bundesstaaten der USA angewandt wurde, flog auf, als einer der Anwälte eine höhere prozentuale Beteiligung verlangt, nicht erhalten und anonym Anzeige erstattet hatte. Sämtliche Beschuldigten, so auch Szimenjicz, wanderten ins Gefängnis. Sie kennen, vermute ich, den Skandal, der seinerzeit zu sozialen Unruhen führte. In Ruhe und ohne von Szimenjicz gestört zu werden konnte ich die Agentur MAKE veräußern. Als begüterter Mann kehrte ich nach Europa zurück und trieb mich ein paar Jahre herum, besuchte Prag und Venedig und Santiago de Compostela, sparte Falling aus, schrieb einige Gedichte, die nie gedruckt wurden, und führte ein angenehmes Leben, bis das Geld zur Neige ging. Der Rest reichte zum Erwerb des kleinen Hauses hier in Pantasina, und seither lebe ich von Werbetexten und kleinen Aufsätzen für Reiseführer, Magazine und lokale Blättchen. Als ich Anna meine Adresse vier Jahre nach dem Brand auf der Fallinger Insel sandte, erhielt ich wenig später einen Brief des neuen und jüngeren Fallinger Bürgermeisters, der mir schrieb, dass seine Gattin Anna nicht von mir belästigt zu werden wünsche. Immerhin war er freundlich genug, mir mitzuteilen, dass man Haus und Oktogon des Antimago für die Touristen wieder hergerichtet habe, auch die Pyramide sei, aus Kunststoff, in ihrer ursprünglichen Gestalt rekonstruiert worden. Man habe sogar Kopien der Schmetterlinge anfertigen lassen. Ein Jahr später erhielt ich aus Los Angeles Post von Szimenjicz. Er war vorzeitig freigelassen worden, arbeitete unter den neuen Besitzern wieder bei MAKE und sandte mir einen Artikel aus dem Magazin Holy Planet zu, in dem von einem unerklärlichen Vorgang die Rede war, der in eben jene Zeit fiel, als ich durch die Löschung des Antimago den Selbstzerstörungsmechanismus der Pyramide ausgelöst hatte: Auf mehreren Bildschirmen war in Stockholm, Washington, Frankfurt, Seoul, Moskau, Johannesburg und Osaka gleichzeitig eine Meldung aufgetaucht: ETERNITY SURVIVAL – und mit ihr beanspruchte ein Programm in den betroffenen Computern 1,5 Terabyte, war aber tags darauf bereits nicht mehr zu finden und hatte sich wohl – so vermutete der Verfasser des (übrigens seitens Ihrer Regierung heftig dementierten) Artikels, in den jeweils betroffenen Rechnern kondensiert und verteilt, verflüchtigt und eingearbeitet, vielleicht in Form von Viren, Würmern, Trojanischen Pferden oder als Mischung solcher Maskierungen. Überall hatten die Schutzprogramme versagt, waren die Firewalls überwunden, unterlaufen oder hintergangen worden. In wenigen Fällen war es speziellen Suchprogrammen gelungen, den Eindringling als EGO zu benennen, bevor er sich wieder tarnte und unauffindbar in die Tiefen der Speicher abtauchte. Betroffen waren Großbanken, Börsen, Forschungsinstitute, die Konzernverwaltungen der bedeutendsten Industrieunternehmen und – ja, lieber Freund, auch der Zentralrechner des amerikanischen Finanzministeriums. Man war zwar höchst beunruhigt über die Erscheinung, hatte jedoch kein Glück beim Aufspüren der in die Programme versickerten Kopie, verbarg den Vorgang so gut es ging vor der Öffentlichkeit und konnte nur hoffen, dass kein weiterer Schaden entstehen würde. Ich hatte mich schon seinerzeit gefragt, warum Reeper mich mit seiner Camouflage als zwergenhafter Kardinal vom Rechner weggelockt und für Augenblicke im Gerümpelteil des Dachbodens festgehalten hatte. Es waren offenbar jene knapp zwei Minuten, in denen er die Kopie seines Programms in die Datennetze der Welt einspeiste und, mittels Dubbing vervielfacht, auf den Weg in die ihm wichtigen fremden Rechner brachte. Ja,
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