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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler
Autoren: Gert Heidenreich
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errichtet hatte. Er selbst, vom brennenden Kranz seiner Kutte umzüngelt, hastete hin und her, hob die steifen Puppen von ihren Stühlen und stieß sie in die Flammen. Anna erhob sich neben mir und starrte, als könne sie sehen, wie dort der Verurteilte seine Seele zu retten unternahm, zu den Fenstern hinüber, hinter denen Stieftaal jetzt die Arme ausbreitete und innehielt wie zum Gebet – und sich der letzten Puppe nachwarf ins Feuer. »Hans?« fragte Anna. Ich zog sie an mich. Vor der Front des Hauses sah ich im Widerschein Jatsu Tsin stehen. Sein ausdrucksloses Gesicht glühte auf, verlosch, wurde vom Licht überwischt. Er blickte schweigend zu mir her, als ginge der Brand ihn nichts an, als wolle er nur unsere Umarmung verstehen. Er kannte größeres Feuer und versuchte zu begreifen, warum sein Urvater, der allwissende Nakadake, ihn nicht gewarnt hatte … Knallend zersprangen die Dachpfannen, ein Glutschweif fuhr in den Nachthimmel, und Jatsu Tsin drehte sich um und lief ins Dunkel, zum Bootssteg.

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    NUN, LIEBER FREUND, wissen Sie fast alles. Und es hilft Ihnen, fürchte ich, nur wenig bei der Lösung Ihres Hauptproblems. Ich will dennoch ein paar Informationen nachtragen, die für Sie nützlich sein können. Die nähere Schilderung der Untersuchungen, die sich anschlossen, erspare ich Ihnen. Oktogon und Haus waren vollständig durch das Feuer zerstört. Anna schwieg beharrlich. Jatsu Tsin war nicht auffindbar, er musste den Kahn zu einer abgelegenen Stelle des Seeufers gelenkt haben und verschwunden sein. Ich gab seinen Namen nicht preis – vermutlich sitzt er noch immer, mehr als hundertjährig, nahe der Abbruchkante des Nakadake, streichelt sein Kurzschwert Kleine Heimat und spricht mit dem grollenden Vulkan. Anna flüchtete sich in eine geistige Verwirrung, die ihre Einweisung in eine Klinik nötig machte. Gleichsam im selben Augenblick beider Väter beraubt, gesellte sie ihrer Blindheit die Stummheit bei und schien mit zärtlichen Gesten und den tonlosen Bewegungen ihres Mundes nur noch mit Pflanzen eine Art Dialog zu führen. Später erfuhr ich, dass die Ärzte ihr helfen konnten. Sir Dschejdschejs Leiche fand man mit durchtrenntem Nacken im Wasser unter dem Landungssteg. Nach der Freigabe durch den Staatsanwalt veranlasste ich ihre Verbrennung und die Rückführung der Asche nach Los Angeles, wo sie von einem seiner Brüder in Empfang genommen und, wie er es sich gewünscht hatte, auf dem Grundstück seines Hauses in Malibu ausgestreut wurde. So kehrte Jens Jakob von Tonnda nach Hause zurück – der verehrungswürdige Renegat, den der Antimago mit der Botschaft ETERNITY INVADER. NO PERMIT listig angelockt hatte, um ihn für seinen Verrat zu bestrafen. Die Toten des Fluges Amair 434 wurden nicht geborgen. Irgendwo auf dem Grund des Atlantik lagen die Trümmer der Maschine, dienten die Menschen den Tieren der Tiefe zum Fraß. Aufgefischte Gepäckstücke ließen die Identifizierung einiger Passagiere als »gesicherte Verluste« zu. Alle übrigen, darunter Liliane Delaborde, wurden für tot erklärt. Noch Jahre zogen sich einige Rentenprozesse hin, in denen Hinterbliebene gegen die Airforce klagten. Meine Trauer um Liliane und Dschejdschej verbarg ich in mir, so gut ich nur konnte. Ich habe immer vermieden, besonders Behörden gegenüber, meine Schwächen zu zeigen – und gab mich auch hier, auf die Gefahr hin, dass man mich für gefühllos hielt, betont nüchtern und sachlich. Dank meines Hinweises konnte sich die Familie Tonnda Dschejdschejs Erfindung der Sonnenuhr ohne Schatten patentieren lassen, und sie soll damit, in einer für Rüstungszwecke abgewandelten Lichtsteuerungs-Version für Geschosse, gut verdient haben. Als man mich endlich nicht mehr zu brauchen schien – der Fall hatte seinen üblichen Gang genommen und war endlich zu den Akten gelegt worden – flog ich in die USA und verkaufte als Lilianes Erbe ihre Agentur MAKE . Ich hatte damit gerechnet, dass Szimenjicz Ansprüche auf die Agentur anmelden und mir Schwierigkeiten bereiten würde.
    Aber zu meiner großen Erleichterung befand sich der eifersüchtige Manager hinter Gittern. Seine Geldgier war ihm zum Verhängnis geworden, ein lukrativer Nebenverdienst als Geldbote … Seinerzeit war es, wie Sie wissen, schwierig geworden, Bargeld an den kalifornischen Steuerbehörden vorbei auf Konten in die Schweiz zu schaffen. Man wollte dort wissen, woher das Geld stammte. Und so hatten Ärzte ein kluges System des Transfers erdacht. Ein
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