Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler
Autoren: Gert Heidenreich
Vom Netzwerk:
Cyberspace-Haut, seinem Cyberspace-Helm vor dem Rechner sitzend wieder – mit dem Gefühl, zurückgekehrt zu sein zu jenem Augenblick, in dem ich mich entschieden hatte, den Antimago in der Kathedrale von Santiago de Compostela aufzuspüren. Als sei keine Zeit vergangen seither. Seit jenem Mittag nach dem Gang durch Annas Gewächshäuser in Falling … Und doch war vor dem Giebelfenster des Dachbodens Nacht. Ich schlüpfte aus der Schnittstellenkleidung, Haut und Helm, hob meine Kleider vom Boden auf, zog mich an, trat an die Verglasung des Giebels und rieb an den Scheiben. Der Teufelston rief mich zurück vor den Rechner. Auf dem Monitor stand, wie ein Menetekel, die Warnung: ACHTUNG! ETERNITY-KOPPLUNG AKTIV! ZERSTÖRUNG IN 30 SEKUNDEN! WOLLEN SIE UNTERBRECHEN? JETZT? FORTFAHREN IN … MINUTEN? ABBRECHEN? Hatte Reeper mit meiner Panik gerechnet? Ich las ETERNITY und wünschte mir nichts sehnlicher als die Zerstörung des Programms. Also beantwortete ich die Frage nach Unterbrechung oder Abbruch mit NEIN .
    Wie viele Fehler sind uns in einem kleinen Leben gestattet? Und warum rettet uns manchmal nur Dummheit? Sie müssten eine Antwort wissen, Sie sind immerhin Minister. Ich fühlte mich damals sicher, zurückgekehrt in die Realität. So sicher wie selten. Nicht der leiseste Zweifel, dass Dschejdschej und Liliane ihren Gin Tonic an der Hotelbar in Falling nehmen und auf mich warten, mich beide umarmen würden, wenn ich als Sieger einträte, als Überwinder, als Retter und was dergleichen Unsinns-Titel mehr sind. Als ich den hellen Schein vor dem schwarzen Giebelfenster wahrnahm, seitlich, im Winkel des linken Auges, glaubte ich an ein Gewitter. Dann sah ich das Flackern, die rötliche Tönung, Feuer. In Sprüngen die Treppe hinunter durchs Haus, unter den im Widerschein zuckenden Gesichtern der Nibelungen, ich rannte durch die helle Küche, die Treppe hinunter zum hinteren Ausgang des Hauses, sah auf der Wiese schon Anna laufen, meine , nicht die verwandelte, nein, Anna in ihrem zu schweren Mantel auf das Heiligtum zu, in dem das Licht aufbrandete, rief ihr nach, die das Tor aufriss und ihren Schatten ins Oktogon warf, in dem Lichtwogen pulsierten. Ich jagte ihr nach. In dem gläsernen Bau sah ich die ganze Pyramide in Flammen, die Schmetterlinge krümmten sich in die eigene Asche, aus der Mitte des Heiligtums fauchten blau und grün kleine Vulkane, scharfe Schweißbrennerflammen zischten zum Dach, wo die weißen Vorhänge Feuer fingen, die ersten Glasplatten hell sangen, bevor sie zerplatzten und ihre Splitter auf den in der Hitze zerfließenden Bau der Kassetten herabwarfen. Bildschlange für Bildschlange erhob sich brennend, und alle schufen in einer Flammenkrone über der Pyramide eine zweite, höhere Feuergestalt, als müsse nun alles empor und die irdische Vorform mit Rauch verhüllen, der aus dem Bau der Kassetten quoll und zu Boden sank, sich in giftigen Schwaden Schicht auf Schicht lagerte, mir bald bis zur Brust stieg, zum Hals, an die Augen, und schon stand ich gefangen in all dem Erinnern als Blinder, der seinen Atem verliert, der seinen Füßen nicht mehr vertraut, die Flucht noch als letzten Gedanken liebt, in Hitze und Qualm aber schon darauf wartet, dass sein Körper endlich versagt, der seine Knie um Nachgiebigkeit bittet … Als ich, wie die des erwarteten Engels, Annas Hand spürte, sicher und fest, zog mich die Blinde durch den Rauch zum Ausgang. Wir lagen auf dem Rücken ausgestreckt in der Wiese, rangen nach Luft, es regnete auf unsere Gesichter, wirklicher Regen, kleine, kalte Tropfen, als ob von weither irgendwer Tränen an diesen Untergang verschwendete, und jetzt erst sprengte die Feuersäule das Glasdach weit auf und zipfelte wie eine vom Sturm gebogene Mütze aus Funken und Lohe vom Oktogon auf das Dach des Hauses hinüber, schnappte nach ihm, leckte die Sparren des Vorsprungs an und sprang, mit dem Impuls eines Schmetterlings, der sich erhebt, auf den Dachboden über, von dem ich herabgelaufen war als der unwissentliche Stifter des Brandes. Wie glitten die Flammen vom Gipfel des Hauses so schnell herunter in seine Halle? Der Speicher brannte noch nicht, ließ erst dünne Streifen von Rauch aus Ritzen zwischen den Dachziegeln steigen, und doch fiel schon ein flackernder Lichtschein durch die Fenster des Speisesalons zu uns her, ein Schatten eilte da groß, wütend, ich stellte mich, sah die Silhouette Hans Stieftaals vor dem auflodernden Scheiterhaufen, den er den Puppen mitten im Saal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher