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Die nachhaltige Pflege von Holzböden

Die nachhaltige Pflege von Holzböden

Titel: Die nachhaltige Pflege von Holzböden
Autoren: Will Wiles
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Konzertprogramm lag noch auf dem Tisch, neben Oskars Anweisungen, die mir wirklich ausführlich genug erschienen. Nun ja, es war seine Wohnung, und er hatte nun mal seine ganz eigene Art, mit dem Leben klarzukommen. Das Gefühl, dass er bis vor Kurzem noch in der Wohnung anwesend war, hing als statische Spannung in der Luft. Er war eben ein Mensch mit sehr klaren Ansichten darüber, was sich in seinen vier Wänden abspielen sollte. Da war er immer schon eigen gewesen.
    Vielleicht war es nur passend für einen Komponisten, dass er Dinge notierte. Schon an der Uni hatte Oskar unsere gemeinsame Treppe stets mit Zetteln übersät, Anweisungen, Verbote, Absichtserklärungen, Erinnerungen, Aufforderungen und Zurechtweisungen. In der ersten Woche des ersten Semesters tauchte eine kleine Notiz an der Rückseite der Tür unserer gemeinsamen Toilette auf: Bitte benutzt das Raumspray. O. Auf dem Spülkasten stand eine nagelneue Sprühdose: Kiefernduft. Keine der anderen Toiletten hatte Raumspray, aber diese war halt diejenige, die Oskar mitbenutzte. Er hatte die Dose selbst angeschafft. Da der Zettel an der Rückseite der Klotür hing, hatte ich unzählige Male die Gelegenheit, ihn in aller Ruhe zu studieren. Das O war hypnotisch – ein perfekter Kreis, ohne sichtbaren Anfang oder Ende.
    Und das war erst der Anfang der Zettellawine. Meistens ging es darum, etwas NICHT zu tun. Bitte macht NICHT so viel Lärm nach ein Uhr morgens. Bitte lasst das Geschirr NICHT in der Spüle stehen. Auf unserer Etage teilten acht Leute sich eine Küche. Sie war der Anlass und Schauplatz endloser Streitigkeiten. Oskar war bei Weitem nicht der einzige Wohngenosse, der ständig etwas zu monieren hatte, und er tat es ausnahmslos auf die höflichste und maßvollste Weise. Doch seine kurz angebundene, frostige Art, die Förmlichkeit seiner Notizen und die pathologische Ordentlichkeit seines Zimmers trieben die Leute in die Defensive. Die anderen lieferten sich kreischende Szenen, die nach einer Stunde schon wieder vergessen waren. Sie warfen sich die wüstesten Beschimpfungen an den Kopf und gingen abends zusammen einen trinken. Oskar rastete nie aus, brüllte nie los. Er war oft ärgerlich, aber sein Zorn war so kontrolliert, moduliert und systematisch wie die Musik, die er später mal schreiben sollte. Natürlich brach er auch nie in überbordende Herzlichkeit oder haltloses Lachen aus. Richtig betrunken, also voll daneben, habe ich ihn nur dreimal erlebt.
    Frage: Was trinkt Oskar am liebsten?
    Antwort: Naturreinen Wodka.
    Naturrein. Haha. Er mochte den Wodka eiskalt, direkt aus dem Tiefkühlfach – der hohe Alkoholgehalt bewirkt, dass er nicht gefriert. Die Flasche, die er für sich und seine Gäste kaufte, von der besten Marke, die er im Spirituosenladen kriegen konnte, verstaute er notgedrungen im Eisfach unseres gemeinsamen Kühlschranks. Für einen Studenten war das eine teure Anschaffung, und die Flasche nahm das gesamte Fach ein, das durch eine dicke Permafrostschicht auf Briefkastengröße geschrumpft war. Die Freundin eines unserer Nachbarn sah nicht ein, dass Wodka eisgekühlt sein muss, und verbannte die Flasche in die Kühlschranktür, als sie eine halbe Packung Schokoeis unterzubringen suchte.
    Aus ihrem kleinen, unbeachteten Nest gerissen und den Blicken eines Halbdutzend durstiger Studenten ausgesetzt, kann man sich vorstellen, wie es der Flasche erging. Ein Großteil des Inhalts verschwand innerhalb von drei Nächten. Oskar entdeckte diesen Tatbestand in der vierten, als er jemanden zu Gast hatte. Er war stocksauer, und nachdem er die Eisfrevlerin (»nicht mal jemand aus unserem Stockwerk!«) ausgekundschaftet hatte, wanderte die Flasche wieder zurück an ihren rechtmäßigen Platz – mit einem Zettel, auf dem stand: Bitte NICHT aus dem Eisfach nehmen.
    Diese Auseinandersetzung setzte bei den anderen etwas Koboldhaftes frei. Sie machten es sich zur Mission, den Wodka herauszuholen, ein wenig davon zu trinken und die Flasche an einem ungewöhnlichen Ort zu bunkern. Das war der Moment, in dem Oskar und ich Freunde wurden. Er rekrutierte mich für die Aufgabe, die Flasche suchen zu helfen. Für die anderen war ich ein Niemand – nicht unbeliebt, einfach uninteressant, eine Figur am Rande. Dieser marginale Status war in Oskars Augen von Vorteil, denn dadurch wusste er, dass ich nicht zu den Verschwörern gehörte, und konnte
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