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Die Muenze von Akragas

Titel: Die Muenze von Akragas
Autoren: Andrea Camilleri
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werde.»
    «Ihr Ehrenwort?»
    «Mein Ehrenwort.»
    «Stellen Sie mir Fragen, das ist besser.»
    «Ist die Münze gestohlen worden?»
    «Nein.»
    «Befindet sie sich noch im Gericht?»
    «Nein.»
    «Wo ist sie dann?»
    «In einem Schließfach der Banca d’Italia. Als der Richter gesehen hat, dass zu viel Lärm um die Münze gemacht wurde, hat er sie dort deponiert. Und wie Sie sehen, hat er gut daran getan.»
    Doktor Gibilaro ist nicht ganz einverstanden. Im Grunde seines Herzens hätte er es vorgezogen, wenn die Münze von Unbekannten gestohlen worden wäre und er nichts mehr von ihr gehört hätte.
     
    Den Prozess gegen Ficarra verfolgt der Korrespondent des «Giornale dell’Isola» aus Girgenti praktisch allein. Niemand interessiert sich dafür, alles hat nur Augen für die Artikel, die Borlenghi weiterhin an seine Zeitung schickt. Zumal er den Anwälten Murmura und Scozzari einen wirklich originellen Vorschlag gemacht hat.
    Der Vorschlag basiert auf der Annahme, dass die kleine Akragas gestohlen wurde. Welchen Sinn hätte ein Zivilprozess zwischen den gegnerischen Parteien über eine inexistente Erbschaft? Wäre es nicht besser, die Sache einer Jury aus ehrenamtlichen Mitgliedern vorzulegen, deren Urteil auch dann bindend wäre, wenn die Münze wiedergefunden wird?
    Borlenghi nennt keine Namen, doch er schlägt vor, einen angesehenen Juristen, einen ranghohen Geistlichen, einen ehrenwerten Familienvater, einen Gerichtspräsidenten im Ruhestand und einen Universitätsprofessor, der Fachmann für Erbschaftsrecht ist, in diese Jury zu wählen. Gemeinsam rufen die Tageszeitung der Insel und die Mailänder Zeitung zu einer Umfrage auf: Welche Namen schlagen Sie für die Ehrenjury vor? Anfangs zögern die Anwälte Murmura und Scozzari, tendieren dazu, ihre Zustimmung zu verweigern, doch als Borlenghi ihnen mitteilt, dass ihre Plädoyers, vorausgesetzt, ein jedes dauert nicht länger als eine Dreiviertelstunde, in der auflagenstärksten Tageszeitung Italiens vollständig abgedruckt werden, ändern sie ihre Meinung radikal.
    Wann bekommen unbedeutende Provinzanwälte wie sie schon eine solche Gelegenheit?
    In Rekordzeit werden die Mitglieder der Jury von den Lesern gewählt. Auf ihrer ersten, von Borlenghi getreulich wiedergegebenen Sitzung stellen die Geschworenen eine Art internen Verhaltenskodex auf. In der zweiten Sitzung wird der Anwalt Murmura angehört, in der dritten der Anwalt Scozzari. Drei weitere Sitzungen braucht die Jury, um ihr Urteil zu sprechen. Der begeisterte Artikel von Borlenghi trägt die Überschrift: Die Gerechtigkeit hat gesiegt! Der Wille des Verstorbenen respektiert! Die kostbare Münze Doktor Gibilaro zugesprochen.
    Fast unbemerkt bleibt die gleichzeitige Verurteilung von Calcedonio Ficarra, genannt Ernesto, zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe.
    Der letzte Artikel, den Borlenghi über das Thema schreibt, bringt die Enthüllung, dass die Münze nicht gestohlen wurde, und schildert ihre Übergabe an Doktor Gibilaro seitens der Gerichtsbehörden, vertreten durch den Richter Gerratana.
    Es gibt ein Detail, das Borlenghi nicht erwähnt, weil er nichts davon weiß.
    Noch am selben Tag, an dem er die kleine Akragas erhält, begibt sich Doktor Gibilaro, begleitet vom Beamten Melluso, in die Filiale der Banca d’Italia von Girgenti und deponiert die Münze in einem Schließfach. Seine Sammlung wird nur einen Wachsabdruck der Münze enthalten.

 
     
    Elf       Der Deus ex Machina
     
    Über ein Jahr vergeht. An die Münze und die mit ihr zusammenhängenden Ereignisse erinnert sich im April 1911 fast niemand mehr, nicht einmal im Städtchen selbst. Alles ist schnell in Vergessenheit geraten.
    Andere Ereignisse, andere Schicksale füllen die Zeitungsseiten. In der internationalen Politik herrscht eine gewisse Unruhe, die möglicherweise zu offenen Auseinandersetzungen führen wird.
    Doch je mehr Tage vergehen, desto unzufriedener wird Doktor Gibilaro mit der von ihm geschaffenen Situation. Er hat das Gefühl, der Münze ein schweres Unrecht zuzufügen, wenn er sie für immer in ein dunkles Schließfach einsperrt und ihr die öffentliche Bewunderung verweigert, die sie verdient. Andererseits wagt er nicht, sie in seine Münzsammlung zu überführen. Ganz abgesehen von der Gefahr eines Diebstahls, ist seine Sammlung einfach zu erbärmlich, die Münze wäre vollkommen fehl am Platze.
    Außerdem hat er das undefinierbare Gefühl, dass er nicht zu der kleinen Akragas gehört. Wann immer er
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