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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt
Autoren: James Herriot
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    Kein Tier ist wie das andere.
    Viele Leute glauben, meine Patienten seien alle gleich, aber Kühe, Schweine, Schafe und Pferde können launisch, bösartig, störrisch oder auch folgsam, geduldig und lieb sein.
    Da war zum Beispiel ein ganz besonderes Schwein namens Gertrud, aber bevor ich zu ihr komme, muß ich bei Mr. Barge beginnen.
    Die jungen Leute, die uns Tierärzten heutzutage Arzneimittel anbieten, bezeichnen wir schlicht als Vertreter, aber als Berufsbezeichnung für Mr. Barge wäre uns das niemals eingefallen. Er war in jeder Hinsicht ein Repräsentant der Chemischen Manufaktur Cargill und Söhne, gegründet 1850, und er war so alt, daß man hätte annehmen können, er habe schon immer dazugehört.
    An einem eisigen Wintermorgen öffnete ich die Haustür. Draußen stand Mr. Barge. Er lüftete kurz den schwarzen Hut über seinem Silberhaar, und sein rosiges Gesicht blühte in einem wohlwollenden Lächeln auf. Er behandelte mich immer wie einen Lieblingssohn, und in Anbetracht seiner Würde war das ein Kompliment.
    »Mr. Herriot«, flüsterte er mit einer leichten Verbeugung. Die Geste war sehr würdevoll und paßte zu seinem dunklen Gehrock, den gestreiften Hosen und der auf Hochglanz polierten Aktentasche.
    »Bitte, kommen Sie herein, Mr. Barge«, sagte ich.
    Er kam stets um die Mittagszeit und blieb zum Essen. Mein junger Chef, Siegfried Farnon, der sich sonst nicht leicht beeindrucken ließ, behandelte ihn mit großem Respekt. Mr. Barge war eine Art Staatsgast für uns.
    Der moderne Vertreter kommt kurz vorbei, erwähnt beiläufig, wie sich Antibiotika im Blutspiegel niederschlagen, weist auf den Mengenrabatt hin, legt die Bestellzettel auf den Tisch und eilt davon. Eigentlich tun mir diese jungen Leute leid, denn sie verkaufen alle das gleiche.
    Mr. Barge dagegen hatte – wie es zu seiner Zeit üblich war – einen dicken Katalog ausgefallener Heilmittel bei sich, die alle exklusiv von seiner Firma hergestellt wurden.
    Siegfried wies ihm den Ehrenplatz am Mittagstisch zu und rückte ihm den Stuhl zurecht. »Bitte nehmen Sie doch Platz, Mr. Barge.«
    »Sehr liebenswürdig von Ihnen.«
    Wie gewöhnlich wurde während des Essens nicht über Geschäfte gesprochen, und erst beim Kaffee ließ Mr. Barge ganz beiläufig seinen Katalog auf den Tisch gleiten, als ob dieser Teil seines Besuches ganz nebensächlich sei.
    Siegfried und ich blätterten in dem Buch und genossen jenen Hauch von Hexenkunst, den der Wind der Wissenschaft aus unserem Beruf vertrieben hat. Hie und da gab mein Chef eine Bestellung auf.
    »Wir brauchen wieder Latwerge. Schreiben Sie uns bitte zwei Dutzend Packungen auf, Mr. Barge.«
    »Vielen Dank.« Der alte Herr öffnete sein ledernes Bestellbuch und machte die Eintragung mit seinem silbernen Bleistift.
    »Und Fiebertränke...« Siegfried schaute mich an. »Wie steht es damit, James? Ja. Ein Gros könnten wir brauchen.«
    »Bin Ihnen sehr verbunden«, hauchte Mr. Barge und schrieb es auf.
    Mein Chef bestellte noch Salpetergeist, Formalin, Kastrationsklemmen, Kaliumbromid, Teersalbe – alles Dinge, die heute nicht mehr verwendet werden –, und Mr. Barge bestätigte jeden Auftrag mit einem feierlichen »verbindlichen Dank« oder »recht herzlichen Dank« und einer schwungvollen Eintragung mit dem Silberbleistift.
    Schließlich lehnte sich Siegfried in seinem Stuhl zurück. »Nun, das wär’s wohl, Mr. Barge – oder haben Sie noch etwas Neues zu bieten?«
    »Zufällig haben wir das, mein lieber Mr. Farnon.« Die Augen blinzelten im rosigen Gesicht. »Ich kann Ihnen unser neuestes Präparat empfehlen. Relax, ein herrliches Beruhigungsmittel.«
    Das ließ uns aufhorchen. Jeder Tierarzt ist besonders an Beruhigungsmitteln interessiert. Alles, was unsere Patienten gefügiger macht, ist ein Segen. Mr. Barge erläuterte die einzigartigen Eigenschaften von Relax, und wir stellten zusätzliche Fragen.
    »Wie ist es mit Säuen, die ihre Jungen anfallen?« fragte ich. »Nützt es da was?«
    »Mein lieber junger Herr.« Mr. Barges Lächeln glich dem eines Bischofs, der einen jungen Priester auf Abwegen ertappt hat. »Relax ist spezifisch für solche Fälle entwickelt worden. Eine einzige Injektion bei der werfenden Sau, und Sie haben keine Probleme mehr.«
    »Großartig«, sagte ich. »Und wie wirkt es auf Hunde, die das Autofahren nicht vertragen?«
    Die edlen Züge verklärten sich in stillem Triumph. »Ebenfalls eine klassische Anwendungsmöglichkeit, Mr. Herriot. Eigens dafür gibt es
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