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Die Muenze von Akragas

Titel: Die Muenze von Akragas
Autoren: Andrea Camilleri
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lesen zu können. Seine Majestät hegt jedoch eine in der Jugendzeit entstandene heftige Abneigung gegen die humanistischen Studien. Welchen Grund hätte er also, sich für die kleine Akragas zu interessieren? Aber es ist zwecklos zu grübeln, er muss sich nur ein paar Tage lang in Geduld üben.
     
    Wie beim letzten Mal empfängt der Präfekt ihn sofort. Er ist nicht allein. Bei ihm ist ein Mann um die Fünfzig, mittelgroß, recht elegant, mit eindeutig militärischem Habitus, obwohl er Zivilkleidung trägt. Seine Exzellenz stellt sie einander vor.
    «Doktor Stefano Gibilaro. General Marchese Giustino di San Lorenzo, Edelmann bei Hof.»
    Dieser schlägt die Hacken zusammen, beugt leicht den Kopf, hebt ihn wieder, reicht dem Doktor die Hand und hält abrupt inne, um ihn entgeistert anzusehen.
    «Aber…»
    Auch dem Doktor steht die Verwunderung ins Gesicht geschrieben. Er öffnet und schließt den Mund, bringt aber kein Wort heraus.
    «Wie ein Ei dem anderen!», ruft der Präfekt aus.
    Tatsächlich. Der Doktor und der Marchese könnten Zwillinge sein, die Ähnlichkeit ist beeindruckend.
    «Bitte verzeihen Sie meine Frage, aber wann sind Sie geboren?», fragt der Marchese. Der Doktor nennt ihm den Tag, den Monat und das Jahr. Der Marchese lächelt:
    «Wissen Sie was? Ich bin älter als Sie. Knapp zwei Tage.»
    Jetzt lachen alle drei.
    Derartige Situationen schaffen entweder eine unerträgliche Peinlichkeit, oder sie lösen sich in einem befreienden Lachen auf. Schlagartig ist die Atmosphäre im Arbeitszimmer des Präfekten weniger steif.
    «Ich habe einen kleinen Salon vorbereiten lassen, wo Sie in aller Ruhe miteinander sprechen können», sagt der Präfekt.
    Sie folgen ihm. Bevor er sie allein lässt, zeigt der Präfekt auf eine Kordel, die neben dem Diwan herabhängt.
    «Was auch immer Sie benötigen…»
    «Rauchen Sie?», fragt der Marchese und zieht zwei lange Zigarren aus seiner Westentasche.
    «Nein, danke.»
    «Ich rauche.» Und er zündet sich eine der Zigarren an.
    «Bitte erlauben Sie mir noch eine neugierige Frage. Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?»
    «Ja, einen Sohn. Er studiert Medizin in Palermo.»
    «Ich habe zwei, einen Jungen und ein Mädchen.»
    Der Marchese macht eine Pause, er genießt seine Zigarre.
    «Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, Sizilien zu besuchen», sagt er plötzlich.
    «Wie sind Sie hergekommen?»
    «In Neapel habe ich mich auf eine Korvette der Marine eingeschifft. Die Reise von Palermo nach Girgenti habe ich dann in der Kutsche zurückgelegt. Leider bin ich über lange Strecken durch brachliegende Landstriche gefahren. Wie schade! Der Boden leidet, wenn er nicht bestellt wird. Und welch ungeheure Verschwendung!»
    «Wissen Sie, es sind die Großgrundbesitzer, die…»
    «Ich kenne das Problem. Ich selbst gehöre zum, wie soll ich sagen, zum Landadel. Ich habe Weinberge. Mein Wein ist nicht schlecht.»
    «Die gibt es auch hier in unserer Gegend, Weinberge.»
    «Ich würde gerne einen Vergleich zwischen unseren Methoden der… nun, darüber würde ich gerne mit jemandem sprechen, der sich direkt mit dem Weinbau beschäftigt.»
    «Wie lange werden Sie bleiben?»
    «Hm, zwei, drei Tage vielleicht.»
    «Wenn Sie morgen früh mit mir kommen wollen… Bei Sonnenaufgang beginne ich meine Runde, ich besuche Patienten, die ihre Häuser auf dem Land nicht verlassen können…»
    Er hat geredet, ohne zu überlegen. Denn ihm ist, als würde er den Mann, der vor ihm sitzt, schon seit einer Ewigkeit kennen. Andererseits ähneln sie sich wirklich sehr…
    «Das täte ich nur zu gerne! Vielen herzlichen Dank!», sagt der Marchese.
    Und sie lächeln sich an.
    «Jetzt komme ich zum Grund meines Besuchs. Den Sie höchstwahrscheinlich schon erraten haben.»
    «Ich glaube, ja. Die Münze aus Akragas?»
    «Genau. Wie Sie sicher wissen, ist Seine Majestät ausschließlich an italienischen Münzen interessiert.»
    «Darum habe ich mich ja auch gefragt, warum…»
    «Es handelt sich um eine rein ästhetisch begründete Neugier ohne bestimmte Absichten. Um diese Münze, von der es offenbar nur ein einziges Exemplar auf der Welt gibt, ist ein so großes Gerede gemacht worden, dass Seine Majestät sie einfach nur sehen möchte. Sie ein paar Stunden in Händen halten und Ihnen dann zurückgeben.»
    «Keinerlei Einwände, doch wie…»
    «Es gäbe eine Lösung. Und ich möchte Ihnen verraten, dass Seine Majestät persönlich darauf gekommen ist.»
    «Erklären Sie es mir.»
    «Sie vertrauen mir die
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