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Die Muenze von Akragas

Titel: Die Muenze von Akragas
Autoren: Andrea Camilleri
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Feststellung hinaus. Als Gefangener mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe kann Pietro Cammarota die Münze nicht erben. Tatsächlich steht in der Urteilsbegründung, die Borlenghi gezeigt wird, dass der gesamte gegenwärtige und zukünftige Besitz des Gefangenen einem Vormund übergeben werden muss, welcher nach Belieben darüber verfügen kann. Weiterhin wird in dem Papier Cammarotas Schwester Rosalia zu seinem Vormund ernannt.
    «Und dies ist die Vollmacht, die Rosalia mir ausgestellt hat», schließt der Anwalt und hält sie dem Journalisten unter die Nase.
    «Und wie ist Ihre Einstellung dazu?»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Sind Sie bereit, die Münze Doktor Gibilaro zu schenken?»
    «Ich weise Sie darauf hin, dass Rosalia keinen Grund hat, sich gegenüber Doktor Gibilaro zur Dankbarkeit verpflichtet zu fühlen», bemerkt Scozzari trocken.
     
    Dieser letzte Satz gefällt den Lesern der bekanntesten italienischen Tageszeitung nicht. Dutzende Briefe kommen in der Redaktion an. Der reuige Zuchthäusler, der aus einer dunklen Zelle, wo sein Körper verfault, eine so erhabene Botschaft der Frömmigkeit und des Glaubens an die moralischen Werte der Familie schickt, rührt die Öffentlichkeit.
    Rosalia und der Anwalt Scozzari erscheinen nun als kleinliche, unsympathische Personen. Im Grunde, schreibt ein Leser, habe auch Pietro Cammarota keinen Grund, Doktor Gibilaro dankbar zu sein, und dennoch…
    «Wir werden nicht zulassen, dass der noble Wunsch des verstorbenen Cammarota vereitelt wird, zumal er in Gegenwart zweier Zeugen ausgesprochen wurde, die ihn bestätigen!», tönt der Anwalt Murmura.
    Und wie denkt Doktor Gibilaro darüber?
    «Ich füge mich in den Entschluss, den die Münze trifft.»
    Eine sibyllinische Erklärung, die von den meisten als geistreiches Bonmot aufgefasst wird.
     
    Der Korrespondent des «Giornale dell’Isola» in Girgenti bekommt die Gelegenheit, sich, wenn auch nur vorübergehend, für die Niederlage zu rächen, die ihm der Kollege Borlenghi bereitet hat. Als er am frühen Morgen ins Polizeipräsidium geht, um zu erfahren, ob es in der Nacht Neuigkeiten gegeben hat, schnappt er eine Nachricht auf, die eigentlich geheim bleiben sollte: Diebe sind ins Gerichtsgebäude eingedrungen, was sie gestohlen haben, weiß man noch nicht.
    Er eilt zum Gericht, stößt aber überall auf eisernes Schweigen. Schließlich kann er genauere Informationen von seinem Cousin bekommen, einem Gerichtsvollzieher. Der Panzerschrank im Zimmer des Ermittlungsrichters Gerratana wurde aufgebrochen und sein gesamter Inhalt gestohlen. Alle wissen, dass der Richter dort die berühmte Münze aufbewahrte.
    Also…
    «Il Giornale dell’Isola» eröffnet mit einer sechs Spalten breiten Überschrift: Dem Prozess fehlt der Streitgegenstand. Die kleine Akragas von Unbekannten gestohlen .
    Doktor Gibilaro liest den Artikel nach der Rückkehr von seiner morgendlichen Runde, bevor er sich zum Mittagessen hinsetzt. Er lacht lauthals auf, verschluckt sich an dem Wasser, das er beim Lesen trank, und bekommt fast keine Luft mehr.
    Borlenghi interviewt den Ermittlungsrichter Gerratana, der sich sehr ausweichend äußert.
    «Ob die Münze verschwunden ist oder nicht, hat keinerlei Einfluss auf das laufende Verfahren gegen Calcedonio Ficarra, genannt Ernesto.»
    «Herr Richter, ich meinte die Erbschaftsangelegenheit. Sie wissen, dass es derzeit einen Rechtsstreit zwischen Pietro Cammarota und seiner Schwester Rosalia gibt. Sollte die Münze verschwunden sein…»
    «Hören Sie, da wenden Sie sich an den Falschen. Ich bin nicht beauftragt, über diese Frage zu entscheiden. Also kann ich mich dazu auch nicht äußern. Jedenfalls wird, auch wenn die Münze verschwunden sein sollte, diese Tatsache meiner Meinung nach unmaßgeblich für den Rechtsstreit sein.»
    «Wieso unmaßgeblich? Wäre er nicht sinnlos ohne den Streitgegenstand?»
    «Praktisch ja. Juristisch hingegen wäre er sehr sinnvoll. Darum würde ich, das sage ich als Privatperson, die Anwälte auffordern, die Klage nicht zurückzuziehen.»
    Nein, das überzeugt Borlenghi nicht, er glaubt, dass der Richter ihm nicht alles erzählt hat. Darum betitelt er seinen nächsten Artikel: Was verschweigt der Ermittlungsrichter Gerratana? Dieselbe Frage stellt Doktor Gibilaro dem Polizeibeamten Melluso.
    Dieser lächelt.
    «Der Richter ist schlau.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Ich darf nicht reden.»
    «Ich verspreche, dass ich alles, was Sie mir sagen, für mich behalten
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