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Die Muenze von Akragas

Titel: Die Muenze von Akragas
Autoren: Andrea Camilleri
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ein wenig freie Zeit hat, reitet er nach Girgenti, geht zur Banca d’Italia, öffnet das Schließfach, nimmt die Münze in die Hand und betrachtet sie lange.
    Sie ist sein eigen, aber er weiß, dass sie ihm im Grunde nicht gehört. So wie er der Münze nicht gehört. Es ist ihm nicht gelungen, sie zu der seinen zu machen. Diese Münze durchquert sein Leben wie ein Meteorit, aber zuinnerst spürt er, dass sie nie ein fester Bestandteil dieses Lebens werden wird.
    Ein Gefühl, das manchmal bis zur Fremdheit reicht.
     
    Der Doktor befindet sich also in einer Verfassung zunehmenden Unbehagens, als eines Tages, um genau zu sein, am 12. Juni, während seines Nachmittagsschläfchens ein Bote der Königlichen Präfektur von Girgenti an die Haustür klopft, um einen «streng vertraulichen» Brief des Präfekten, Seiner Exzellenz Michele Staderini, zu überbringen.
    Der kurze, höflich formulierte Brief lädt Doktor Stefano Gibilaro zu einer privaten Unterredung mit dem Präfekten ein, welche am nächsten Tag zu einer vom Doktor selbst festzulegenden Uhrzeit stattfinden soll.
    Der Doktor informiert den Boten, der kerzengerade auf der Schwelle stehengeblieben ist, um die Antwort abzuwarten, dass er am nächsten Tag um drei Uhr nachmittags in der Präfektur erscheinen wird.
    Das Nachmittagsschläfchen wird ausfallen, schade, aber er möchte seine amtsärztlichen Pflichten wegen einer wenngleich höchst ungewöhnlichen Vorladung auf die Präfektur keinesfalls vernachlässigen. Er ist nicht einmal neugierig auf den Grund. Denn er ahnt ihn bereits: Es geht um eine Kontroverse zwischen der kommunalen Verwaltung und einigen Bürgern, die jedoch die Gesundheit aller Einwohner von Vigata betrifft.
     
    Der Präfekt empfängt ihn, ohne ihn im Vorzimmer warten zu lassen. Sie hatten bereits Gelegenheit, einander kennenzulernen.
    «Ich komme sofort zur Sache, damit Sie keine kostbare Zeit verlieren.»
    «Ich danke Ihnen, Exzellenz.»
    Doch jetzt, da er zur Sache kommen will, scheint Seine Exzellenz ein wenig verlegen. Er hustet. Schiebt einen Briefbeschwerer hin und her. Der Doktor wartet geduldig.
    «Ich habe überraschend einen Brief des Zeremonienmeisters Seiner Majestät bekommen», sagt er endlich.
    «Welcher Majestät?», fragt der Doktor völlig verwirrt. Er dachte, er sei wegen eines Abwasserproblems gerufen worden.
    «Wie welcher Majestät? Seiner Majestät Vittorio Emanuele III. natürlich! Unser König!», ruft Seine Exzellenz überrascht und entrüstet zugleich aus.
    «Ich bitte um Verzeihung.» Der Doktor bereut seinen Lapsus augenblicklich.
    «In diesem Brief», fährt der Präfekt fort, «werde ich gebeten, dafür zu sorgen, dass Sie einer Person eine kurze Unterredung gewähren, welche Seine Majestät eigens aus Rom kommen lassen würde. Tag und Stunde des Gesprächs dürfen Sie ganz nach Belieben festsetzen.»
    Der Doktor ist vor Überraschung wie benommen.
    «Ich selbst soll…»
    «So ist es. Doch bedenken Sie, dass zwischen dem Eintreffen meiner Antwort und der Zeit, welche die von Seiner Majestät beauftragte Person für die Reise von Rom bis hierher benötigt, einige Tage vergehen werden. Die Begegnung kann also nicht vor der nächsten Woche stattfinden.»
    «Heute ist Mittwoch. Sagen wir nächste Woche am Donnerstag?», schlägt der Doktor vor.
    «Ich werde es ausrichten und Sie in Kenntnis setzen. Was den Ort betrifft, so erlaube ich mir, Ihnen die Präfektur nahezulegen.»
    «Einverstanden.»
    «Und die Uhrzeit?»
    «Sagen wir um drei, wie heute.»
    «Sehr gut. Zumal der Gesandte Seiner Majestät hier im Gästehaus übernachten wird.»
     
    Es kann sich nur um die kleine Akragas handeln.
    Der Doktor weiß alles über die Liebe des Königs zur Numismatik, die entstand, als seine irische Gouvernante dem Sechsjährigen einen Soldo von Pius IX. schenkte, und sich fortsetzte, als sein Hauslehrer, Oberstleutnant Egidio Osio, ein Numismatiker, den Jungen ermunterte, eine systematische Sammlung anzulegen. Der Doktor weiß auch, dass Seine Majestät derzeit über eine beeindruckende Münzsammlung von etwa 60000 Exemplaren verfügt.
    Wie allseits bekannt, beschränkt sich diese Sammlung jedoch auf italienische Münzen. Bekommt der König eine Münze aus der griechischen oder römischen Antike geschenkt, verkauft er sie entweder oder verschenkt sie seinerseits. Wer griechische oder römische Münzen sammelt, muss die Geschichte dieser Völker studieren und sich die Fähigkeit aneignen, Inschriften in den alten Sprachen
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