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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord
Autoren: Katharina Peters
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PROLOG
    Der Wind stach mit tausend Nadelspitzen auf ihn ein. David kniff die Augen zusammen und lachte mit weit geöffnetem Mund, aber man hörte nichts – eine Böe entriss ihm das Lachen und schleuderte es übers Meer. Jeder Atemzug tat weh. Er zog die Mütze tief ins Gesicht und stapfte hinunter zum Strand. Der Schnee leuchtete in der Dunkelheit, und David war froh, sich heimlich auf den Weg gemacht zu haben. Hätte er gefragt, hätte seine Mutter ihm den Ausflug verboten oder darauf bestanden, ihn auf einen anderen Abend zu verschieben, um ihn dann begleiten zu können. Und nun hatte er alles für sich: die winterliche Ostsee, das Zischen der Wellen, hin und wieder inmitten der vorbeihetzenden Wolken auch den freien Blick zu den Sternen und den vereisten Strand, auf dem sich im Sommer die Urlauber und Kurgäste in der Sonne und im Wasser vergnügten. Und manchmal auch er – etwas abseits oder zu späterer Stunde, wenn es nicht mehr so voll war.
    Er lief in Richtung Göhren und lauschte dem Spiel des Wassers. Weit würde er nicht kommen bei der Kälte, dabei hätte er sich so gerne die Luise angesehen, den Küstenmotorsegler, der schon seit Ewigkeiten an Land lag und um den sich in den Ferienmonaten die Leute scharten, um etwas über die Fischerei zu erfahren und sich die Zeit zu vertreiben. Manchmal war jemand vom Museum da und erklärte den Leuten die Seezeichen und die Utensilien, die ein Fischer benötigte, und alle lauschten gebannt oder begutachteten mit Kennermiene die aufgespannten Netze, als wüssten sie sehr genau, worauf es beim Fischen ankam. Die Luise war 19,41 Meter lang, referierte David in Gedanken und lachteerneut. Das konnte er sich gut merken und vieles andere auch.
    Er pustete in die Hände und wollte sich gerade umdrehen und den Rückweg antreten, als er die beiden Gestalten sah. Schwarzgraue Schatten, an denen der Wind riss wie an den mageren Bäumen, die sich mit letzter Kraft an die Steilküsten klammerten. David konnte nicht sagen, ob sie bereits länger dort standen und er sie erst jetzt wahrnahm, weil er ganz und gar in seine Gedanken versunken gewesen war – das passierte ihm häufig –, oder ob sie gerade aufgetaucht waren, um wie er den winterlichen Strand von Göhren zu genießen. Aber es sah nicht danach aus, als würden sie etwas genießen.
    Einzelne Stimmfetzen drangen zu ihm herüber, doch David verstand kein Wort, weil der Wind sie durcheinander wirbelte. Besser so, dachte er. Mama sagte immer: Halt dich im Hintergrund und misch dich nicht ungefragt ein. Er machte sich klein und hockte sich auf den Boden. Ein Zittern durchfuhr ihn. Er mochte nicht, wenn Menschen stritten – mehr noch, es machte ihm Angst –, und die beiden taten genau das, da war er sicher. Ihre Gesten wirkten zornig.
    Plötzlich rangen sie miteinander, und David wimmerte leise. Hört doch auf, flehte er stumm und biss in seine zusammengeballte Hand. Sein Herzpochen klang wie der Rasende Roland, wenn er es besonders eilig hatte. David liebte den Rasenden Roland und seinen schönen Namen. Keine Zeit für schöne Gedanken. Eine der beiden Gestalten stürzte zu Boden, und dann geschah etwas, was David noch mehr verstörte. Die andere Person sah einen Moment auf die gestürzte Gestalt herab und begann dann jäh, auf sie einzutreten. Mit ganzer Kraft und böser Wucht. Schreie wurden laut, die wie Möwen klangen, die um Fischreste stritten, ein Splittern – als würde sich eine Eisscholle an der anderen reiben.
    David riss den Kopf herum, verschluckte sein Wimmern, dass der Hals eng wurde, und kniff die Augen zusammen.Manchmal half das gegen böse Geräusche, gegen Schärfe und Wut. Er bebte am ganzen Körper. Vielleicht ist es nur ein böser Traum, dachte er. Und ich träume einen bösen Traum, weil ich nicht auf Mama gehört habe. Ein Mongo hat nun mal keine eigenen Wege zu gehen – so hatte Manfred vor einiger Zeit zu seiner Mutter gesagt, Manfred mit den harten Händen, und dann hatten sie auch gestritten, aber David hatte kein Wort verstanden, weil er sich schnell die Ohren zugehalten hatte.
    Zwischen einem Windstoß und dem nächsten blieb es für einen Moment so still, dass David seinen eigenen Atem hörte. Er konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit vergangen war, vielleicht so viel, dass die gespenstische Szene vorbei war oder sich in Luft aufgelöst hatte oder in Wind und Wellen. Leise Zuversicht durchströmte ihn, er wagte es, die Augen wieder zu öffnen und sich langsam aufzurichten.
    Für den
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