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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel
Autoren: Michel Houellebecq
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die Zeitschrift aufgekauft wurde, hat sie mich zu ihrer Stellvertreterin ernannt; das war wohl auch das mindeste, denn seit zwei Jahren hatte ich ihre ganze Arbeit gemacht. Und trotzdem haßte sie mich; ich erinnere mich noch an den haßerfüllten Blick, den sie mir zuwarf, als sie mir die Einladung von Lajoinie übergab. Du weißt doch, wer Lajoinie ist, der Name sagt dir sicher was, oder?«
    »Ein bißchen…«
    »Ja, er ist in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannt. Er war Aktionär von 20 Ans, keiner der Hauptaktionäre, aber er hatte die anderen zu dem Verkauf überredet; eine italienische Gruppe hat die Zeitschrift übernommen. Evelyne wurde natürlich vor die Tür gesetzt; die Italiener waren bereit, mich zu behalten, aber die Tatsache, daß Lajoinie mich zum Brunch an einem Sonntagmittag zu sich einlud, konnte natürlich nur bedeuten, daß er mir ein anderes Angebot machen wollte; das hat Evelyne natürlich gespürt, und das machte sie verrückt vor Wut. Er wohnte im Marais, ganz in der Nähe der Place des Vosges. Als ich dort ankam, habe ich zuerst einen richtigen Schock erlebt: Karl Lagerfeld war da, Naomi Campbell, Tom Cruise, Jade Jagger, Björk… Auf jeden Fall nicht die Kategorie von Leuten, mit denen ich bisher zusammengekommen war.«
    »Hat er nicht eine Zeitschrift für Schwule gegründet, die sehr gut läuft?«
    »Nein, die Sache ist ein bißchen anders: Ursprünglich hatte GQ als Zielgruppe nicht die Schwulen, sondern es war eher eine etwas abgehobene Macho-Zeitschrift: Supergirls, Autos und ein paar aktuelle Nachrichten aus dem Militärbereich; nach sechs Monaten haben sie dann gemerkt, daß unheimlich viel Schwule das Blatt kauften, doch das war eine Überraschung, ich glaube nicht, daß sie die Gründe dafür im einzelnen herausgefunden haben. Wie dem auch sei, kurz darauf hat er die Zeitschrift verkauft und damit die Branche ungeheuer beeindruckt: Er hat GQ zu einem Zeitpunkt verkauft, als sie ganz oben war und jeder glaubte, der Aufstieg würde immer noch weiter gehen, und dann hat er 21 gegründet. Seitdem ist es mit GQ ständig abwärts gegangen, ich glaube, sie haben landesweit 40 % im Vertrieb verloren, und 21 ist zum ersten monatlich erscheinenden Herrenmagazin aufgestiegen — sie haben sogar Le Chasseur français übertroffen.
    Ihr Rezept ist ganz einfach: rein metrosexuell. Fitneß, Schönheitspflege, Modetendenzen. Nicht ein bißchen Kultur, keine Zeile über aktuelle Ereignisse, kein Humor. Kurz gesagt, ich fragte mich wirklich, was er mir anbieten wollte. Er hat mich sehr freundlich empfangen, mich allen Leuten vorgestellt und mir den Platz ihm gegenüber angeboten. ›Ich habe große Achtung vor Evelyne …‹ waren seine ersten Worte. Ich habe mich bemüht, nicht in die Luft zu gehen: Niemand konnte Achtung vor Evelyne haben; diese alte Schnapsnase konnte einem nur Verachtung, Mitleid, Abscheu und was weiß ich alles einflößen, aber auf keinen Fall Achtung. Später habe ich dann gemerkt, daß das die Methode war, wie er mit seiner Belegschaft umging: Er sagte nie etwas Schlechtes über jemanden, unter gar keinen Umständen; im Gegenteil, er war immer des Lobes voll über seine Mitarbeiter, auch wenn diese es überhaupt nicht verdienten — was ihn natürlich nicht davon abhielt, sie zu gegebener Zeit vor die Tür zu setzen. Mir war die Sache natürlich etwas peinlich, und daher versuchte ich das Gespräch auf 21 zu bringen.
    »Wir müssen un-be-dingt…‹, er sprach seltsam abgehackt, betonte jede Silbe, fast so als drücke er sich in einer Fremdsprache aus, »unsere Konkurrenz in-te-res-siert sich viel zu sehr für die a-me-ri-ka-nische Presse, habe ich den Eindruck. Wir sind doch Eu-ro-pä-er… Unser Vorbild ist und bleibt die eng-li-sche Presse…‹
    Na gut, 21 hatte eindeutig ein englisches Konzept kopiert, aber GQ ebenfalls; das erklärte nicht, was ihn dazu bewogen hatte, von einer Zeitschrift zu einer anderen überzugehen. Hatte es vielleicht in England irgendwelche Untersuchungen gegeben, oder hatte sich das Interesse der Leserschaft gewandelt?
    »Soweit ich weiß, nicht… Sie sind sehr hübsch …‹, fuhr er völlig unvermittelt fort. »Man sollte Sie viel mehr in den Medien einsetzen…‹
    Ich saß direkt neben Karl Lagerfeld, der unentwegt aß: Er nahm sich mit der Hand ein Stück gedünsteten Lachs nach dem anderen, tauchte es in die Dill-Sahnesoße und schob es in den Mund. Tom Cruise warf ihm ab und zu einen angewiderten Blick zu; Björk dagegen schien
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