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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel
Autoren: Michel Houellebecq
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völlig fasziniert zu sein — man muß allerdings dazu sagen, daß sie schon immer versucht hatte, sich mit Sagadichtung, isländischer Energie usw. einen Namen zu machen, obwohl sie im Grunde völlig konventionell und äußerst manieriert war: Daher mußte der Anblick eines authentischen Wilden sie einfach faszinieren. Plötzlich wurde mir klar, daß man dem Modeschöpfer nur sein Rüschenhemd, seine Künstlerschleife, seinen Smoking mit Satinrevers auszuziehen und ihn in Tierfelle zu hüllen brauchte, und schon würde er völlig überzeugend die Rolle eines Teutonen aus Urzeiten spielen können. Er schnappte sich eine gekochte Kartoffel und bestrich sie reichlich mit Kaviar, ehe er sich an mich wandte: »Man muß in den Medien präsent sein, wenigstens ein bißchen. Ich zum Beispiel bin ein großer Medienfreak. Ich bin geradezu mediengeil …‹ Ich glaube, er hatte gerade seine zweite Abmagerungskur abgebrochen, auf jeden Fall hatte er über die erste schon ein Buch geschrieben.
    Irgend jemand legte Musik auf, es kam Bewegung in die Gruppe, ich glaube, Naomi Campbell begann zu tanzen. Ich starrte weiterhin Lajoinie an und wartete darauf, daß er mir ein Angebot machte. Aus lauter Verzweiflung knüpfte ich ein Gespräch mit Jade Jagger an, wir haben wohl über Formentera oder ein ähnlich leichtes Thema gesprochen, aber sie hat einen guten Eindruck auf mich gemacht, sie ist eine intelligente, lockere Frau; Lajoinie hatte die Augen halb geschlossen, als sei er eingeschlummert, aber ich glaube, daß er jetzt mein Verhalten den anderen gegenüber beobachtete — auch das gehörte zu der Methode, wie er mit seinen Mitarbeitern umging. Irgendwann hat er etwas gemurmelt, aber ich habe es nicht verstanden, die Musik war zu laut; dann warf er einen kurzen gereizten Blick nach links: Karl Lagerfeld ging inzwischen in einer Ecke des Raums auf den Händen; Björk sah ihm laut lachend dabei zu. Dann setzte sich der Modeschöpfer wieder neben mich, klopfte mir heftig auf die Schulter und brüllte: »Alles klar? Alles klar?‹, ehe er Schlag auf Schlag drei Aale hinunterwürgte. »Sie sind mit Abstand die hübscheste Frau hier! Da kommt keine von den anderen ran! …‹, dann machte er sich über die Käseplatte her; ich glaube, er war mir aufrichtig zugetan. Lajoinie sah ungläubig zu, wie er einen Livarot verschlang. »Du bist wirklich ein geiler Freak, Karl…‹, flüsterte er; dann wandte er sich mir zu und sagte: »Fünfzigtausend Euro.« Das war alles; mehr hat er an jenem Tag nicht gesagt.
    Am folgenden Morgen bin ich in sein Büro gegangen, und da hat er mir etwas mehr erzählt. Die Zeitschrift sollte Lolita heißen. »Das wichtigste dabei ist die Diskrepanz …‹, sagte er. Ich begriff in etwa, was er damit meinte: 20 Ans zum Beispiel wurde vor allem von fünfzehn- oder sechzehnjährigen Mädchen gekauft, die den Eindruck hervorrufen wollten, sie seien total aufgeklärt, besonders, was Sex anging; mit Lolita wollte er die Sache umkehren. »Unsere Zielgruppe beginnt bei den Zehnjährigen …‹, sagte er, »aber es gibt keine Obergrenze.‹ Er ging davon aus, daß der Hang der Mütter, ihre Töchter zu imitieren, immer ausgeprägter würde. Es wirkt natürlich ein bißchen lächerlich, wenn eine Frau um die Dreißig eine Zeitschrift mit dem Titel Lolita kauft, aber auch nicht lächerlicher als ein hautenges Top oder superkurze Shorts. Außerdem ging er davon aus, daß das Gespür für Lächerlichkeit, das bei Frauen und insbesondere bei französischen Frauen sehr ausgeprägt war, allmählich verschwinden und durch einen regelrechten Jugendkult ersetzt werden würde.
    Man muß schon sagen, daß er mit seiner Einschätzung recht behalten hat. Das Durchschnittsalter unserer Leserinnen ist achtundzwanzig — und jeden Monat nimmt es zu. Für die Werbefachleute sind wir inzwischen zur tonangebenden Frauenzeitschrift geworden — ich wiederhole nur, was man mir gesagt hat, auch wenn es mir schwerfällt, das zu glauben. Ich manage die Sache, versuche sie zu managen oder tue zumindest so, aber im Grunde begreife ich überhaupt nichts mehr. Ich gehe immer sehr professionell vor, das stimmt schon, ich habe dir ja gesagt, daß ich ein bißchen rigide bin, daher diese Gründlichkeit: Es gibt nie einen Druckfehler, das Layout ist perfekt, und die Zeitschrift erscheint immer zum vorgesehenen Termin, aber was den Inhalt angeht… Es ist normal, daß die Leute Angst vorm Altern haben, vor allem Frauen, das war schon immer so, aber
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