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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel
Autoren: Michel Houellebecq
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mich nicht, ich bin ziemlich rigide.«
    »Was, du und rigide?«
    »Ja, ja … du wirst schon sehen.«
    Wenn ich an Isabelle zurückdenke, dann wundert mich vor allem, wie offen und ungezwungen unsere Beziehung von Anfang an war, sogar was Themen anging, die Frauen im allgemeinen lieber mit einem Schleier des Geheimnisses umgeben, weil sie in dem Irrglauben sind, daß Geheimnisse den erotischen Reiz einer Beziehung steigern, dabei finden die meisten Männer eine direkte sexuelle Anmache viel aufreizender. »Es ist nicht sehr schwer, einen Mann zum Orgasmus zu bringen …«, hatte sie beim Abendessen in dem tibetischen Restaurant halb im Spaß, halb im Ernst zu mir gesagt. »Mir ist es auf jeden Fall immer gelungen.« Und damit hatte sie recht. Sie hatte ebenfalls recht, wenn sie behauptete, daß dieses Geheimnis nichts Besonderes und auch nichts Seltsames hat. »Man darf nur nie vergessen«, fuhr sie seufzend fort, »daß Männer auch einen Sack haben. Daß sie einen Pimmel haben, das wissen die Frauen nur zu gut, denn seit die Männer zu einem Sexualobjekt herabgewürdigt worden sind, interessieren sich die Frauen nur noch für den Pimmel; aber wenn sie mit einem Typen schlafen, vergessen sie fast immer, daß auch die Eier ein höchst empfindliches Organ sind. Egal, ob es sich um eine Masturbation, eine Penetration oder um eine Lutschpartie handelt, ab und an muß man die Eier in die Hand nehmen und sie mehr oder weniger intensiv streicheln oder sie gar pressen, das hängt davon ab, wie fest sie sind, aber das merkt man sofort. Das ist alles.«
    Es war etwa fünf Uhr morgens, ich war gerade in ihr gekommen und fühlte mich so richtig wohl, es war eine friedliche, zärtliche Atmosphäre, und ich spürte, daß jetzt wohl eine glückliche Phase meines Lebens begann, als ich plötzlich ohne besonderen Grund die Inneneinrichtung ihres Schlafzimmers wahrnahm — ich erinnere mich noch, daß das Mondlicht auf eine Graphik fiel, die ein Rhinozeros darstellte, eine alte Graphik, wie man sie in Enzyklopädien der Tierwelt aus dem 19. Jahrhundert findet.
    »Gefällt es dir bei mir?«
    »Ja, du hast Geschmack.«
    »Wundert es dich, daß jemand, der bei einer beschissenen Zeitschrift arbeitet, Geschmack hat?«
    Es würde wirklich nicht so einfach sein, ihr zu verheimlichen, was ich dachte. Diese Feststellung erfüllte mich erstaunlicherweise mit einer gewissen Freude; ich vermute, daß das wohl eines der Anzeichen für wahre Liebe ist.
    »Ich werde gut bezahlt… Und das ist schon ein hinreichender Grund.«
    »Wieviel?«
    »Fünfzigtausend Euro im Monat.«
    »Das ist allerdings viel, aber im Moment verdiene ich noch mehr.«
    »Das ist normal. Du bist wie ein Gladiator in der Arena. Völlig normal, daß du dafür gut bezahlt wirst: Du setzt dein Leben aufs Spiel, in jedem Augenblick kann Schluß sein.«
    »Ach, weißt du…«
    Das sah ich etwas anders, und ich erinnere mich, daß ich mich auch darüber wieder gefreut habe. Es ist schön, wenn man mit jemandem völlig einverstanden und sich in allen Dingen mit ihm einig ist — anfangs ist das sogar unerläßlich; aber kleine Meinungsverschiedenheiten sind auch nicht schlecht, und sei es nur, um sie anschließend in einer lockeren Unterhaltung auszuräumen.
    »Ich nehme an, daß du mit ziemlich vielen Frauen geschlafen hast, die zu deinen Auftritten gekommen sind …«, fuhr sie fort.
    »Ja, mit einigen.«
    In Wirklichkeit waren es gar nicht so viele: vielleicht fünfzig, höchstens hundert; aber ich sagte ihr nicht, daß die Nacht, die wir gerade verbracht hatten, mit Abstand die schönste war; ich spürte, daß sie es wußte. Nicht aus Überheblichkeit oder übertriebener Eitelkeit, sondern rein intuitiv, einfach, weil sie einen ausgeprägten Sinn für menschliche Beziehungen hatte und auch, weil sie ihre eigene erotische Ausstrahlung genau einzuschätzen wußte.
    »Frauen, die von Männern, die im Rampenlicht stehen, sexuell angezogen sind«, fuhr sie fort, »suchen nicht nur die Berühmtheit, sondern sie spüren, daß einer, der im Rampenlicht steht, ständig seine Existenz aufs Spiel setzt, denn das Publikum ist wie ein wildes Tier, das sein Geschöpf in jedem Augenblick wegjagen, es zwingen kann, schmachvoll, unter dem Gespött der Menge davonzulaufen. Die Belohnung, die sie dem zu bieten haben, der seine Existenz auf der Bühne aufs Spiel setzt, ist ihr Körper; das ist genau wie mit den Gladiatoren oder den Stierkämpfern. Es wäre dumm, sich einzubilden, daß diese
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