Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel
Autoren: Michel Houellebecq
Vom Netzwerk:
gemacht, vor allem was Schuhe anging, aber nach und nach verlor ich die Freude daran und begriff, daß mein Leben ohne dieses elementare, immer wieder erneuerte Vergnügen fortan nicht mehr so einfach sein würde.
    Zu der Zeit, als ich Isabelle kennenlernte, war ich bei etwa sechs Millionen Euro angelangt. Eine Balzacsche Figur würde sich in diesem Stadium eine Prachtwohnung kaufen, die sie mit Kunstgegenständen füllt, und sich wegen einer Tänzerin zugrunde richten. Ich wohnte in einer banalen Dreizimmerwohnung im 14. Arrondissement und hatte noch nie mit einem Top-Model geschlafen — hatte nicht mal die geringste Lust darauf verspürt. Ich hatte wohl nur einmal mit einem halbwegs bekannten Mannequin kopuliert; aber sie hat keinen unauslöschlichen Eindruck auf mich hinterlassen. Die Frau war nicht schlecht, hatte ziemlich große Brüste, aber auch nicht größer als viele andere; letztlich war ich nicht so gekünstelt wie sie.
    Das Gespräch fand in der Garderobe nach einem Auftritt statt, den man wohl als triumphal bezeichnen darf. Isabelle war damals Chefredakteurin von Lolita, nachdem sie lange bei 20 Ans gearbeitet hatte. Ich hatte anfangs keine große Lust auf dieses Interview. Beim Durchblättern der Zeitschrift war ich überrascht, was für ein unglaublich beknacktes Niveau die Zeitschriften für junge Mädchen hatten: T-Shirts in der Größe für Zehnjährige, weiße enge Shorts, der String, der auf allen Seiten hervorschaute, die kalkulierte Verwendung von Chupa-Chups … nichts fehlte. »Ja, aber sie sind seltsam positioniert…«, hatte die Pressefrau nachdrücklich gesagt. »Und die Tatsache, daß die Chefredakteurin persönlich kommt, ist doch, finde ich, ein gutes Zeichen…«
    Es scheint Leute zu geben, die nicht an die Liebe auf den ersten Blick glauben; auch wenn sie nicht immer buchstäblich durch den allerersten Blick ausgelöst wird, läßt sich nicht leugnen, daß man die gegenseitige Anziehung sehr schnell spürt; schon in den ersten Minuten, in denen ich mich mit Isabelle unterhielt, wußte ich, daß sich zwischen uns etwas abspielen und daß es eine lange Geschichte sein würde; ich wußte auch, daß ihr das klar war. Nach ein paar anfänglichen Fragen über Lampenfieber, die Methode, wie ich mich vorbereitete, usw., verstummte sie. Ich blätterte erneut die Zeitschrift durch.
    »Das sind doch keine richtigen Lolitas …«, bemerkte ich schließlich. »Sie sind sechzehn oder siebzehn.«
    »Ja«, räumte sie ein. »Nabokov hat sich um fünf Jahre geirrt. Den meisten Männern gefällt an den jungen Mädchen nicht die Zeit vor der Pubertät, sondern der Moment direkt danach. Wie auch immer, er ist kein besonders guter Schriftsteller.«
    Ich habe diesen mittelmäßigen, manierierten Pseudodichter auch nie ausstehen können, der Joyce so ungeschickt nachzuahmen versuchte und nicht einen Funken von dem Feuer hatte, das einen die gelegentliche Anhäufung von Schwerfälligkeiten bei dem verrückten Iren verzeihen läßt. Mich hat Nabokovs Stil immer an einen mißlungenen Blätterteig erinnert.
    »Ja«, fuhr sie fort, »aber wenn ein so schlecht geschriebenes Buch, das noch dazu durch einen groben Fehler hinsichtlich des Alters der Protagonistin gehandikapt ist, trotzdem als ausgezeichnetes Buch durchgeht, das sogar zu einem dauerhaften Mythos geführt und Eingang in die Umgangssprache gefunden hat, kann das nur heißen, daß der Autor an etwas Wesentliches gerührt hat.«
    Wenn wir uns über alles einig waren, drohte das Interview ziemlich langweilig zu wirken. »Vielleicht können wir die Diskussion beim Essen weiterführen …«, schlug sie vor. »Ich kenne ein tibetisches Restaurant in der Rue des Abbesses.«
    Wie bei allen ernsten Geschichten haben wir schon in der ersten Nacht miteinander geschlafen. Als sie sich auszog, wirkte sie erst ein wenig verlegen und dann plötzlich stolz: Ihr Körper war unglaublich straff und geschmeidig. Erst viel später sollte ich erfahren, daß sie siebenunddreißig war; im ersten Augenblick schätzte ich sie auf höchstens dreißig.
    »Was tust du, um dich so in Form zu halten?« fragte ich.
    »Klassisches Ballett.«
    »Kein Stretching, Aerobic oder so was Ähnliches?«
    »Nein, das ist alles völliger Humbug; das kannst du mir glauben, ich arbeite schließlich nicht umsonst seit zehn Jahren für Frauenzeitschriften. Das einzige, was wirklich Effekt hat, ist klassisches Ballett. Aber das ist ganz schön hart, das erfordert eiserne Disziplin; doch das stört
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher