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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel
Autoren: Michel Houellebecq
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Auftritten — Juden übrigens auch, wenn auch nicht ganz so zahlreich; und alle zahlten den vollen Eintrittspreis. Man fühlt sich vom eigenen Tod und dessen Umständen ohne Zweifel betroffen; von der eigenen Geburt dagegen und deren Umständen nicht unbedingt so sehr.
    Und was die Menschenrechte anging, so hatte ich damit natürlich nichts am Hut; ich hatte schon Mühe genug, mich für die Rechte meines Schwanzes zu interessieren.
    Auf diesem Gebiet hat sich mein erster Erfolg im Ferienclub bei meiner späteren Karriere durchaus bestätigt. Frauen haben im allgemeinen wenig Humor, und deshalb betrachten sie den Humor als eine männliche Eigenschaft; die Gelegenheiten, mein Organ in eine der dazu geeigneten Körperöffnungen einzuführen, haben mir also während meiner ganzen Karriere nicht gefehlt. Aber, ehrlich gesagt, waren diese Geschlechtsakte nicht sonderlich aufregend: Frauen, die sich für Komiker interessieren, sind im allgemeinen nicht mehr ganz jung, gehen schon auf die Vierzig zu und spüren, daß es bald bergab geht. Die einen hatten einen dicken Hintern, die anderen Brüste wie leere Mehlsäcke und manche beides. Kurz gesagt, sie konnten einen nicht besonders anmachen; und wenn die Erektionen nachlassen, interessiert man sich weniger für die Sache. Aber sie waren auch nicht direkt alt; ich wußte, daß sie, wenn sie auf die Fünfzig zugingen, wieder auf der Suche nach unaufrichtigen, beruhigenden, leicht zu habenden Abenteuern waren — die sie übrigens nicht fanden. In der Zwischenzeit konnte ich ihnen nur — unwillkürlich, denn das ist nie sehr angenehm, glauben Sie mir das — bestätigen, daß ihr erotisches Kapital im Wert sank; ich konnte nur bestätigen, daß sie mit ihrem Verdacht recht hatten, und ihnen ungewollt ein trostloses Bild vom Leben vermitteln: Nein, nicht die Reife erwartete sie, sondern nur das Alter; der Weg, der vor ihnen lag, führte nicht zu einem erneuten Aufblühen, sondern zu einer Reihe von Frustrationen und schmerzvollen Dingen, die anfangs kaum merklich waren, sehr bald aber unerträglich wurden; all das war nicht sehr aufmunternd, nicht sehr aufmunternd. Das Leben beginnt mit Fünfzig, das stimmt — wenn man davon absieht, daß es mit Vierzig endet.
     

Daniel24,1
    Schau dir die kleinen Wesen an, die sich dort in der Ferne bewegen; schau sie dir an. Das sind Menschen.
    Im abnehmenden Licht sehe ich ohne Bedauern zu, wie die Menschheit verschwindet. Der letzte Sonnenstrahl streift die Ebene, gleitet über die Bergkette, die im Osten den Horizont versperrt, und taucht die öde Landschaft in rötliches Licht. Das Drahtgitter des Elektrozauns, der das Anwesen umgibt, glitzert. Fox knurrt leise; er spürt vermutlich die Nähe der Wilden. Ich habe nicht das geringste Mitleid mit ihnen und auch nicht das Gefühl, irgendwie mit ihnen verwandt zu sein. Für mich sind sie nur Affen, die ein bißchen intelligenter als richtige Affen und daher auch gefährlicher sind. Manchmal schließe ich das Tor auf, um ein Kaninchen oder einen streunenden Hund zu retten, doch nie, um einem Menschen zu helfen.
    Es käme mir auch nie in den Sinn, ein Weibchen ihrer Spezies zu begatten. Die bei Wirbellosen und Pflanzen häufig territorial geprägte artspezifische Schranke ist bei den höheren Wirbeltieren zumeist verhaltensgeprägt.
    Irgendwo in Central City wird ein Wesen entwickelt, das mir gleicht; zumindest hat es meine Züge und meine inneren Organe. Wenn mein Leben zu Ende ist, wird nach ein paar Nanosekunden das Ausbleiben des Signals festgestellt, und sogleich wird mit der Herstellung meines Nachfolgers begonnen. Schon am nächsten oder spätestens am übernächsten Tag wird das Tor im Elektrozaun geöffnet, und dann läßt sich mein Nachfolger in dieser Residenz nieder. An ihn richtet sich dieses Buch.
    Der erste Piercesche Lehrsatz vollzieht die Gleichsetzung der Persönlichkeit mit dem Gedächtnis. Die Persönlichkeit umfaßt nichts anderes als das, was sich im Gedächtnis festhalten läßt (egal ob es sich dabei um ein kognitives, prozedurales oder affektives Gedächtnis handelt); dem Gedächtnis verdanken wir zum Beispiel, daß der Schlaf nicht das Gefühl der Identität zerstört.
    Dem zweiten Pierceschen Lehrsatz zufolge beruht das kognitive Gedächtnis auf der Sprache.
    Der dritte Piercesche Lehrsatz definiert die Bedingungen einer nicht verzerrten Sprache.
    Die drei Pierceschen Lehrsätze sollten den riskanten Versuchen ein Ende machen, mit Hilfe eines
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