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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel
Autoren: Michel Houellebecq
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des Menschen bleiben uns unergründbar, doch sein Leid kann uns auch nicht mehr die Brust zerreißen. Unsere Nächte sind nicht mehr von bebendem Entsetzen oder ekstatischem Rausch erfüllt; dennoch leben wir, gehen freudlos durch ein Leben ohne Geheimnisse, und die Zeit erscheint uns kurz.
    Ich habe Marie22 auf einem billigen spanischen Server kennengelernt; es dauerte endlos, bis die Verbindung zustande kam.
    Die Müdigkeit,
    Die der alte tote Holländer auslöst,
    Läßt sich nicht bescheinigen
    Ehe der Meister zurückkehrt.
    39, 334497, 44512, 33711. Unter der angegebenen Adresse konnte ich mir ihre Muschi ansehen — flimmernde, digitalisierte, aber seltsam reale Bilder. War sie eine Lebendige, eine Tote oder eine Intermediäre? Wohl eher eine Intermediäre; aber dieses Thema war tabu.
    Frauen vermitteln den Eindruck von Ewigkeit, mit ihrer Muschi als Zugang zum Geheimnisvollen — als wäre sie ein Tunnel, der zum Wesen der Welt führt, dabei handelt es sich nur um ein Zwergenloch, das niemanden mehr interessiert. Aber es freut mich für sie, wenn sie diesen Eindruck noch hervorrufen können; meine Worte sind voller Mitleid.
    Die starre,
    Sichtlich erdrückende Anmut,
    Die von den sich ablösenden Zivilisationen ausgeht,
    Führt nicht zum Tod.
    Ich hätte damit aufhören sollen. Hätte das Spiel, die Intermediation, den Kontakt abbrechen sollen; aber es war zu spät. 36, 9115, 333410147,5533.
    Die erste Sequenz war von einem höher gelegenen Punkt aufgenommen. Große graue Plastikplanen bedeckten die Ebene; wir befanden uns nördlich von Almeria. Früher wurde das Obst und Gemüse, das in diesen Gewächshäusern angebaut wurde, von Landarbeitern geerntet, von denen die meisten aus Marokko stammten. Nach der Automatisierung hatten sie sich in die umliegenden Sierras verzogen.
    Außer der üblichen Ausrüstung — Elektrizitätswerk, das den Schutzzaun mit Strom versorgte, Relaissatellit, Sensoren — verfügte die Einheit Proyecciones XXI,13 über einen Mineralsalzgenerator und eine eigene Trinkwasserquelle. Sie lag abseits der großen Verkehrslinien und war auf keiner Karte verzeichnet sie war erst nach der letzten Geländeaufnahme errichtet worden. Seit der Flugverkehr abgeschafft war und die Frequenzbänder der Übertragungssatelliten systematisch gestört wurden, war es praktisch unmöglich geworden, sie ausfindig zu machen.
    Die nächste Sequenz hätte aus einem Traum stammen können. Ein Mann, der mein Gesicht hatte, aß in einem Stahlwerk einen Joghurt; die Bedienungsanleitung der Werkzeugmaschinen war auf Türkisch; es war unwahrscheinlich, daß die Produktion wieder in Gang kommen würde.
    12, 12, 533, 8467.
    Die zweite Botschaft von Marie22 lautete:
    Ich sitze da wie eine blöde Tussi
    Allein mit meiner Pussi.
    3523455, 6365. Wenn ich »ich« sage, lüge ich. Gehen wir von dem »ich« der Wahrnehmung aus, das neutral und klar ist. Setzen wir es in Bezug mit dem »ich« der Intermediation — mein Körper als solcher gehört mir; oder genauer gesagt, ich gehöre meinem Körper. Und was stellen wir fest? Den fehlenden Kontakt. Hütet euch vor meinen Worten.
    Ich möchte euch nicht von diesem Buch ausschließen; denn ihr seid, lebendig oder tot, die Leser.
    Das findet ohne mein Zutun statt; und ich möchte, daß es stattfindet — und zwar lautlos.
    Dem verbreiteten Gedanken zuwider
    Erschaffen Worte keine Welten;
    Der Mensch spricht, wie der Hund bellt,
    Um seinen Zorn oder seine Angst auszudrücken.
    Die Lust ist lautlos,
    Genau wie das Glücksgefühl.
    Das Ich ist die Synthese unserer Fehlschläge; aber es ist nur eine lückenhafte Synthese. Hütet euch vor meinen Worten.
    Dieses Buch verfolgt das Ziel, die Zukünftigen zu erbauen. Die Menschen, werden sie sich sagen, waren fähig, so etwas hervorzubringen. Das ist keine Kleinigkeit, aber das ist auch nicht alles; es handelt sich nur um etwas Intermediäres.
    Marie22 ist, wenn es sie gibt, in ebensolchem Maß eine Frau, wie ich ein Mann bin; in begrenztem, widerlegbarem Maß. Auch ich bin bald am Ende meines Wegs angelangt.
    Niemand außer den Zukünftigen wird die Entstehung des Geistes miterleben; aber die Zukünftigen sind keine Wesen in unserem Sinn. Hütet euch vor meinen Worten.
     

Erster Teil

    Kommentar von Daniel24
     
    Daniel1,1
    »Was tut eine Ratte im Wachzustand?
    Sie schnuppert.«
    Jean-Didier — Biologe
    Wie gut sind mir noch die ersten Augenblicke meiner Berufung zum Clown im Gedächtnis! Damals war ich siebzehn und verbrachte
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