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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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ein Trauerfall nach Venedig geführt.

3
    «Im Grunde ist dieses Schreiben ein Skandal», sagte Johann-Baptist von Spaur aufgebracht.
    Der Polizeipräsident ließ die flache Hand auf seinen Schreibtisch klatschen und warf einen wütenden Blick auf das Portrait des Kaisers, das an der Wand hing. Der Schlag brachte ein Likörglas zum Klirren, das Spaur angesichts des Skandals geleert hatte, und verscheuchte zwei Spatzen, die sich auf dem Fensterbrett seines Büros in der Questura niedergelassen hatten.
    Die Fensterflügel standen weit auf und ließen die milde Luft eines fast sommerlichen Herbsttages in Spaurs Büro strömen. Nach ein paar kalten Regentagen hatte der Wind über Nacht gedreht, und als Tron heute Morgen erwachte, war der Himmel über dem Canalazzo fleckenlos blau, wie reingewaschen. Tron hatte sich um zwölf Uhr mit der Principessa im Café Florian verabredet. Sein Interesse an Spaurs Schreiben hielt sich in Grenzen.
    «Indirekt unterstellt man uns Unfähigkeit», fuhr der Polizeipräsident fort. «Wahrscheinlich hat Toggenburg in einem seiner Berichte durchblicken lassen, dass auf die venezianische Polizei kein Verlass ist. Anders kann ich mir dieses Schreiben nicht erklären. Ganze drei Sätze sind wir der Hofburg wert. Als ob wir mit der Sache nichts zu tun hätten.»
    Die Sache war der Besuch des Kaisers, und bei dem Schreiben handelte es sich um eine lakonische Mitteilung des kaiserlichen Generaladjutanten, Graf Crenneville, an den venezianischen Polizeipräsidenten. Sie beschränkte sich auf die Bekanntgabe der Besuchsdaten und die höflich formulierte Bitte, in allen Angelegenheiten, die den Besuch des Kaisers betrafen, den Anweisungen des Stadtkommandanten, Generalleutnant Toggenburgs, zu folgen. Auf dem Kopf des Bogens im halben Kanzleiformat stand in großen gedruckten Buchstaben klassifiziert und dringlich.
    Tron legte den Bogen auf den Schreibtisch zurück und sah Spaur an. «Wann ist dieses Schreiben gekommen?»
    «Heute Morgen. Per Boten von der Kommandantura.

    Ich wette darauf, dass Toggenburg den Inhalt des Schreibens kennt.»
    Tron machte ein nachdenkliches Gesicht. «Vielleicht unterstellt man uns ja mehr als nur Unfähigkeit und zieht es deshalb vor, sich bei der Sicherung der kaiserlichen Person ausschließlich auf das Militär zu verlassen.»
    Spaur runzelte die Stirn. «Was soll das heißen?»
    «Dass man uns nicht über den Weg traut», Tron lächelte,
    «die venezianische Polizei für politisch unzuverlässig hält –  unterwandert von Gefolgsleuten Turins und Garibaldis. In solche Hände legt man nicht die Sicherheit des Kaisers.»
    Spaur verdrehte die Augen. «Als ob die Sicherheit des Kaisers bei Leuten wie Toggenburg in besseren Händen liegt! Ich würde meine Sicherheit diesem Militär jedenfalls nicht anvertrauen. Ist Ihnen das Datum auf der Mitteilung aufgefallen?»
    Tron nickte. «Der Brief ist bereits vor zwei Wochen in der Kommandantura eingetroffen.»
    « Verschlüsselt eingetroffen, Commissario. Das weiß ich von dem zuständigen Nachrichtenoffizier.»
    «Und warum hat es so lange gedauert, bis wir die Anweisung erhalten haben?»
    Spaur schnaubte verächtlich. «Weil aus Sicherheitsgründen die Codes geändert worden sind und man aus Sicherheitsgründen diese Änderung geheim gehalten hat. Da aber auf der Kommandantura noch immer nach den alten Codebüchern dechiffriert wird, konnte eine knappe Woche lang niemand klassifizierte Mitteilungen aus Wien lesen. Man hat die chiffrierten Nachrichten vom Ballhausplatz und aus der Hofburg einfach abgelegt – in der Annahme, dass ohnehin nichts Wichtiges mitzuteilen ist.»
    «Und wann ist das aufgefallen?»
    «Als ein Rittmeister aus dem Generalstab, der sich auf diesem Weg ein Hotelzimmer bestellen wollte, keine Antwort bekam. Er hat daraufhin nachgeforscht und Krach geschlagen. Dann hat es noch eine Woche gedauert, bis die neuen Codebücher aus Verona eingetroffen sind. Bei der Anforderung der Codebücher ist ein falsches Formular benutzt worden, und die Gegenzeichnung des vorgesetzten Offiziers hat gefehlt. Deshalb erhalte ich die Anweisung des Generaladjutanten erst jetzt.»
    Tron runzelte die Stirn. «Ich frage mich, warum so eine triviale Mitteilung chiffriert werden musste.»
    «Weil alles, was mit dem Besuch des Kaisers zu tun hat, automatisch als klassifiziertes Material behandelt wird», erläuterte Spaur.
    «Sind Einzelheiten über das Programm durchgesickert?
    Hat Toggenburg, als Sie ihn gestern auf der Piazza
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