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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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aus dem Umkreis des Comitato Veneto, einer Turiner Gruppierung, in der wir einen Maulwurf platzieren konnten.»
    Der Kaiser runzelte die Stirn. «Steckt die piemontesische Regierung dahinter?»
    Oberst Hölzl schüttelte den Kopf. «Dafür gibt es keine Indizien.»
    «Was haben diese Leute vor?»
    «Unser Agent weiß nur, dass ein Sprengstoffspezialist nach Venedig reisen wird, um die Operation zu leiten. Er kennt jedoch die genaue Zugverbindung und die Codes .»
    «Welche … Codes ?»
    «Die Kleidung, die der Mann tragen wird, damit er erkannt wird. Und die Parolen.»
    «Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.»
    «Aus Sicherheitsgründen», sagte Oberst Hölzl, «beschränkt sich der Kontakt zwischen den verschiedenen Gruppierungen auf ein Minimum. Sie sind sich behilflich, achten aber streng darauf, dass man nur das Allernötigste voneinander weiß.»

    «Wollen Sie damit sagen, dass der Mann, der den  Sprengstoff nach Venedig bringt, die venezianische Gruppe nicht kennt?»
    Oberst Hölzl nickte. «Ebenso wenig wie die venezianische Gruppe ihn. Deshalb die Codes – in unserem Fall eine schwarze Trauerbinde und das Giornale di Verona. So kann im Ernstfall niemand den anderen verraten. Der Austausch verläuft über eine Deckadresse in London und dauert in der Regel zwei Monate.»
    «Warum verhaften wir den Mann nicht gleich am Bahnhof?»
    «Weil er uns vorher zu den Verschwörern führen muss.»
    «Also werden Sie zuschlagen, sobald Sie wissen, wie  groß die Gruppe ist und wer ihr angehört.»
    «Die andere Möglichkeit wäre», sagte Oberst Hölzl, «dass wir den Mann, der den Sprengstoff nach Venedig bringt, durch unseren Agenten ersetzen. Er könnte einen Herzanfall im Coupé erleiden oder unglücklich aus dem Fenster stürzen. Dann würde unser Agent das Giornale di Verona an sich nehmen, die schwarze Armbinde überstreifen und sich am Bahnhof ansprechen lassen. Wir hätten einen Maulwurf direkt im Herzen des Feindes und wären nicht auf riskante Observationen angewiesen.»
    «Und können die Gruppe jederzeit verhaften lassen», sagte der Kaiser.
    Oberst Hölzl hob die Schultern. «Es wäre allerdings  klug, die Festnahme nicht vom Militär, sondern von der venezianischen Polizei durchführen zu lassen.»
    «Warum das?»
    Crenneville schaltete sich ein. «Majestät erinnern sich, dass der Sinn der ganzen Operation darin besteht, auf die katastrophale Unterfinanzierung der Italienarmee hinzuwei sen. Eine unterfinanzierte Armee hat keine effektive Abwehr. Deshalb sollten wir die Aufdeckung des Attentats der Zivilpolizei überlassen. Unser Agent wird ein paar Spuren legen, die man unmöglich übersehen kann.»
    Der Kaiser wiegte nachdenklich den Kopf. «Und dieser Mann, den Sie ausgewählt haben – können wir uns wirklich auf ihn verlassen?»
    «Das Herz, das in seiner Brust schlägt, ist Majestät treu ergeben», sagte Oberst Hölzl ein wenig pathetisch.
    Das war gewaltig übertrieben, denn tatsächlich hatte es sich als schwierig erwiesen, in der Kürze der Zeit einen geeigneten Mann zu finden. Crenneville gegenüber hatte Oberst Hölzl diesen Umstand nicht erwähnt, und es schien ihm auch wenig ratsam, diesen Punkt vor den Ohren des Kaisers zur Sprache zu bringen.
    «Von wo wird unser Agent auf mich feuern?», erkundigte sich der Kaiser.
    Eine merkwürdige Frage, dachte Oberst Hölzl. Darüber hatte Crenneville doch lang und breit gesprochen. Aber vielleicht wollte der Kaiser ja nur sein Gedächtnis auf die Probe stellen.
    «Von einer Dachluke des Palazzo Reale», antwortete  Oberst Hölzl, «während der Ansprache Seiner Majestät. Er wird Schießpulver mit kräftiger Rauchentwicklung benutzen, und man wird einen lauten Knall hören. Nach dem ersten Schuss werden sich alle Augen auf das Dach richten.
    Dann feuert unser Mann einen zweiten blinden Schuss ab, schwenkt die Tricolore und verschwindet.»
    «Auf der Piazza San Marco», fügte Crenneville hinzu,  «wird zweifellos Panik ausbrechen, und man wird sich im Nachhinein daran erinnern, dass die einzige Person, die …»
    Franz Joseph beendete den Satz: «Die nicht von der Pa nik erfasst wurde, der Kaiser selbst war.» Seine Augen blitzten auf. «Ein Fels in der Brandung, ein rocher de bronce, der kalten Blutes das Kommando übernommen hat.»
    Crenneville neigte sein graumeliertes Haupt. «Ich bin überzeugt davon, dass das Parlament seinen verhängnisvollen Entschluss sofort revidieren wird. Eindrucksvoller als durch dieses Attentat kann man die
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