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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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Schaden unabsehbar. Zudem war zu befürchten, dass die Kaiserin sein Vorhaben missbilligen würde. Und das Letzte, was er sich wünschte, war ein Streitgespräch, das mit der Abreise einer grollenden kaiserlichen Gattin an den Starnberger See endete.
    Fünf Minuten später waren Schritte im Vorzimmer zu  hören, und ein livrierter Lakai erschien an der Tür. «Graf Crenneville und Oberst Hölzl, Majestät.»
    Franz Joseph straffte den Oberkörper. Er tauchte den Federhalter in das Tintenfass und beugte sich über die Akten auf seinem Schreibtisch.
    «Lass die Herren eintreten», sagte er knapp.
    Er würde, den Federhalter in der Hand und die Augen  fest auf die Akte gerichtet, langsam bis zwanzig zählen, danach den Kopf nachdenklich wiegen und schließlich günstig erledigen an den Rand des Aktenstücks schreiben. Günstig erledigen passte fast immer. Dann erst würde er geruhen, seinen kaiserlichen Blick zu heben und die Anwesenheit der beiden Herren mit zerstreuter Miene zur Kenntnis zu nehmen. Auf keinen Fall durfte der Eindruck entstehen, er hätte bereits auf den Besuch gewartet.

    Oberst Hölzl, dessen Herz so heftig schlug, als könne es jeden Moment zerspringen, blieb unwillkürlich einen Schritt hinter Crenneville zurück, der sich seinerseits mit behäbiger Gelassenheit dem Schreibtisch des Kaisers näherte. Das auf Hochglanz polierte und nach Bienenwachs duftende Parkett wirkte auf Oberst Hölzl so glatt wie eine Eisfläche, und er fragte sich, wie viele Besucher bereits auf dem Weg zum kaiserlichen Schreibtisch gestürzt waren.
    Der Allerhöchste hatte den Kopf nicht gehoben, als sie über die Schwelle des Arbeitszimmers getreten waren. Er las, ganz so wie es seinem öffentlichen Bild entsprach, konzentriert in einer Akte. Oberst Hölzl sah, wie sich beim Lesen seine Lippen bewegten. Schließlich schrieb der Kaiser nachdenklich zwei Wörter an den Rand des Aktenstücks.
    Dann erst erhob er sich aus seinem Stuhl, trat neben den Tisch und blickte ihnen entgegen: ein mittelgroßer, fast schmaler Mann mit haselnussbraunen Augen und einem
    Bart, der ein wenig zu groß für sein Gesicht zu sein schien.
    Oberst Hölzl fand, dass Franz Joseph nicht ganz so majestä tisch aussah wie auf den Bildern in den Amtsstuben.
    Crenneville hatte ihn pünktlich um vier Uhr nachmit tags in seinem Hotel abgeholt, und die zehn Minuten, die der Wagen zur Hofburg unterwegs war, hatten sie dazu genutzt, noch einmal alles durchzusprechen. Die Idee war kühn und originell. Denn was könnte die liberalen Abgeordneten des Hohen Hauses mehr davon überzeugen, dass die Abrüstung der Italienarmee ein verhängnisvoller Fehler war, als ein spektakuläres Ereignis auf der Piazza San Marco?
    Oberst Nepomuk Hölzl, jung, ehrgeizig und Chef der  militärischen Abwehr in Verona, war vor sechs Wochen telegraphisch nach Wien gerufen worden, um vom Generaladjutanten des Kaisers mit einem äußerst delikaten Kommando betraut zu werden. Daraufhin hatte er einen Plan entwickelt, der ebenso kühn war wie die Idee selbst.
    Crenneville war beeindruckt – speziell von der originellen Lösung eines zusätzlichen Problems, das sich noch während der Planung ergeben hatte. Vielleicht, dachte Oberst Hölzl, war das der Grund, aus dem ihn Crenneville mit in die Hofburg gebeten hatte. In jedem Fall war es eine Ehre, in Gegenwart des Allerhöchsten das Wort zu ergreifen. Das alles würde seiner Karriere einen gewaltigen Schub verpassen.
    Sie hatten, nachdem der Kaiser sie mit ausgesuchter  Höflichkeit begrüßt hatte, auf zwei schlichten Bugholzstühlen Platz genommen, die vor dem Schreibtisch des Kaisers standen. Crenneville hatte bereits seit einer halben Stunde gesprochen und kam jetzt zum Ende seines Vortrags. «Allerdings», schloss er lächelnd, «hat sich noch eine kleine Variation ergeben.» Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und klappte seinen Notizblock zusammen. «Herr Oberst?»
    Oberst Hölzl hob den Kopf und registrierte befriedigt, dass seine anfängliche Nervosität vollständig verflogen war.
    «Es gibt tatsächlich eine Gruppierung in Venedig», sagte er langsam, «die anlässlich des hohen Besuches einen Anschlag auf das Leben Ihrer Majestät plant.»
    Der Federhalter des Kaisers geriet bei dem Wort Anschlag in ein nervöses Wippen. «Wie bitte?»
    «Unsere Agenten haben erfahren», fuhr Oberst Hölzl  fort, «dass in drei Tagen jemand mit einer größeren Menge Sprengstoff nach Venedig unterwegs sein wird. Er arbeitet für Leute
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