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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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Empfang in den Palazzo Reale bitten wird, ist unwahrscheinlich. Jedenfalls sollten wir auf alles vorbereitet sein. Finden Sie heraus, wen wir in den anderen Stadtteilen entbehren können, und machen Sie einen Einsatzplan für diese drei Tage. Und stellen Sie auf dem Weg nach draußen fest, wo mein sergente bleibt.»
    Was sich erübrigte, denn in diesem Moment ging die  Tür auf, und sergente Kranzler, Spaurs persönliches Faktotum, betrat das Büro, stellte wortlos ein Tablett auf den Schreibtisch und verschwand wieder.
    Auf dem Tablett standen eine Kaffeekanne, eine silberne Zuckerdose, eine Tasse und ein Teller mit einem Stück Kirschtorte, das man als Grundstein für den Petersdom hätte benutzen können. Neben der Tasse lag ein Zettel, den Spaur mit mäßigem Interesse in die Hand nahm. Nachdem er ihn durchgelesen hatte, blickte er auf und lächelte matt.
    «Arbeit für Sie, Commissario.»
    Tron, der sich bereits erhoben hatte, runzelte die Stirn.
    «Was ist passiert?»
    «An den Fondamenta Nuove ist eine Leiche ange schwemmt worden», sagte Spaur gelangweilt. «Offenbar ist die Todesursache unklar.» Er streckte die Hand nach der Kuchengabel aus. «Bossi wartet in Ihrem Büro auf Sie. Die Nachricht stammt von ihm.»

4
    «Männlich, Zivilist», sagte Bossi fünf Minuten später zu Tron. «Sie haben ihn am Ponte dei Mendicanti aus dem Wasser gezogen.»
    Die Sonne, die im Herbst und im Winter nur zur Mit tagszeit in Trons Büro schien, brachte Bossis blaue Uniform zum Leuchten und betonte gleichzeitig das abgewetzte Mobiliar des Raumes, den rissigen Terrazzofußboden, die fleckigen Wände. Zu Bossis Füßen standen, in rechtwinkliger Ordnung aufgereiht, zwei kofferähnliche Behältnisse aus poliertem Kirschholz – eins für die Kamera, das andere für die Gelatine-Trockenplatten. Ein hölzernes Stativ lehnte tatendurstig an Trons Schreibtisch – es handelte sich um die Ausrüstung für Tatortfotografien. Was nichts anderes bedeutete, dachte Tron resigniert, als dass Bossi von einem Gewaltverbrechen ausging.
    Tron räusperte sich. «Wer hat den Mann aus dem Wasser gezogen?»
    «Ein Spaziergänger hat ihn treiben sehen und die Wache am Rialto informiert», sagte Bossi. «Worauf zwei sergenti die Leiche geborgen haben. Einer von ihnen ist dann zur Questura gelaufen.»
    «Und wann ist der Mann gefunden worden?»
    «Vor zwei Stunden.»
    «Ist er ertrunken?»
    «Der sergente sagt, er habe Verletzungen im Gesicht.»
    «Wo ist der sergente jetzt?»
    «Ich habe ihn vor einer halben Stunde zu Dr. Lionardo geschickt», sagte Bossi ungerührt. «Der dottore müsste bereits auf dem Weg sein.»

    Tron runzelte die Brauen. «Warum haben Sie mich  nicht sofort benachrichtigt?»
    «Weil Spaurs Faktotum sich geweigert hat, Ihnen den  Zettel zu bringen. Er wollte das Büro nicht ohne den Kaffee und den Kuchen betreten.» Bossi verdrehte die Augen.
    «Die Torte aus dem Café Oriental war noch nicht da. Ging es um etwas Wichtiges?»
    «Um den Besuch des Kaisers. Wir haben Anweisungen  aus Wien erhalten.»
    «Und?»
    «Das Militär wird sich um alles kümmern», sagte Tron.
    «Wir unternehmen nichts. Es sei denn, die Kommandantura fordert uns nachdrücklich an. Spaur möchte trotzdem für diese drei Tage Beamte aus anderen Stadtteilen abziehen und in San Marco einsetzen. Aber das ist eine interne Maß nahme, von der Toggenburg nichts weiß.»
    «Unter diesen Umständen», sagte Bossi, «sind wir auch nicht dafür verantwortlich, wenn etwas schiefgeht.»
    Tron sah Bossi an. «Was ist mit dem Friseur, der etwas über ein Attentat gehört hat?»
    Bossi zuckte gleichgültig die Achseln. «Der Mann redet viel. Und meistens redet er Unsinn. Das hatte ich Ihnen aber gesagt, Commissario.»
    «Ich habe das Gerücht überflüssigerweise Spaur gegenü ber erwähnt. Er schien den Gedanken reizvoll zu finden, dass jemand ein Attentat auf den Kaiser plant.»
    «Wie? Spaur wünscht sich den Tod des Kaisers?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Er wünscht sich, dass wir den Tod des Kaisers verhindern.»
    «Das verstehe ich nicht.»
    Tron lächelte. «Es gefällt Spaur nicht, dass die Sicherung des kaiserlichen Besuches ausschließlich in den Händen des Militärs liegt. Er vermutet, dass man uns für unfähig und unzuverlässig hält. Ein von der venezianischen Polizei und nicht vom Militär vereiteltes Attentat auf den Kaiser würde Toggenburg bis auf die Knochen blamieren.»
    «Hat er das gesagt?»
    «Nicht direkt. Aber er hat es durchblicken
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