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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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Nein – das war auszuschlie ßen. Der dottore hatte noch nie etwas übersehen.
    Tron hob sein Gesicht von dem Billett. «Können Sie sagen, woran er gestorben ist?»

    «Ich glaube, er hat sich das Genick gebrochen», sagte Dr. Lionardo.
    «Und die Wunden auf der Stirn?»
    «Harmlose Schürfwunden.»
    «Gibt es Abwehrverletzungen?»
    Dr. Lionardo schüttelte den Kopf. «Nur ein Bluterguss an der rechten Hand. Aber der kann alle möglichen Gründe haben.»
    Tron stellte die entscheidende Frage. «War der Mann
    bereits tot, als er ins Wasser gefallen ist?»
    Der dottore drehte den Kopf zur Seite, um ein paar Mö wen nachzusehen, die über den Ponte dei Mendicanti flogen. «Wenn er noch geatmet hat», sagte er, «müsste Wasser in der Lunge sein. Aber das werde ich erst nach der Sektion wissen.»
    «Wann habe ich Ihren Bericht?»
    «Morgen früh.»

    «Offenbar wollte der Mörder, dass das Opfer nicht identifiziert werden kann», sagte Bossi. «Deshalb hat er dem Mann die Taschen geleert und muss dabei das Billett übersehen haben. Da er nicht ausschließen konnte, dass in Fusina noch jemand zusteigt, blieb ihm für den Mord nur die kurze Strecke über die Lagune.»
    «Sie gehen also davon aus, dass der Mann ermordet wurde?»
    «Das Fehlen von Abwehrverletzungen besagt, dass wir es mit einem kaltblütigen Killer zu tun haben. Der Fall wird einiges Aufsehen erregen», fuhr Bossi unbeirrt fort. «Also eine gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir hier mit den modernsten Polizeimethoden arbeiten.»
    «Ich glaube nicht, dass wir ausgerechnet mit Mordfällen Aufmerksamkeit erregen sollten. Schon gar nicht so kurz vor dem Besuch des Kaisers. Wenn es denn überhaupt ein Gewaltverbrechen gewesen ist. Dass Mörder ihren Opfern das Genick brechen, ist ungewöhnlich. Mörder erschießen, erwürgen oder erschlagen ihre Opfer. Sie brechen keine Genicke.»
    «Ein professioneller Killer schon.»
    «Darf ich fragen, was Sie da lesen, Bossi?»
    Bossi wurde rot. «Den Agenten des Zaren .»
    Tron musste lachen. «Von Paul de Cock?»
    Bossi nickte.
    «Das sind Schundromane, Bossi. Schlecht geschrieben  und wirklichkeitsfremd. Professionelle Killer kommen nur in Dienstbotenromanen vor. Schon der Titel ist in höchstem Maße albern.»
    Bossi räusperte sich. «Und was ist Ihre Version, Commissario?»
    «Die gibt es nicht», sagte Tron. «Jedenfalls nicht, bevor ich den Sektionsbericht gelesen habe.»
    «Was ist, wenn sich herausstellt, dass der Mann bereits tot war, als er ins Wasser fiel?»
    «Dann wäre auch eine ganz andere Erklärung möglich», sagte Tron. «Coupétüren entriegeln sich, wenn man die Klinke nach unten drückt. Der Mann könnte sich aus dem Fenster gelehnt und dabei versehentlich die Coupétür ge öffnet haben. Das ist im letzten Jahr auf der Südbahn passiert.»
    «Der betrunkene Generalstabsoffizier?»
    Tron nickte. «Alle dachten zunächst an einen Mord. In Wahrheit aber war es ein Unfall. Der Mann könnte sich also beim Sturz auf die Brücke das Genick gebrochen haben und anschließend ins Wasser gerutscht sein.»

    «Und wie erklären Sie, dass er weder Geld noch Papiere bei sich hatte?»
    «Geld und Papiere könnte er im Handgepäck aufbewahrt haben», sagte Tron. «Das ist zwar ungewöhnlich, aber durchaus denkbar.»
    «In diesem Fall müsste sich herrenloses Gepäck im Abteil gefunden haben.» Bossi runzelte die Stirn. «Was geschieht, wenn sich herrenloses Gepäck in einem Abteil findet?»
    «Der Schaffner sichert es und informiert den Bahnhofsvorsteher», sagte Tron. «Schriftlich auf einem dafür vorgesehenen Formular. Wenn es Anzeichen für ein Verbrechen gibt, wendet sich der Bahnhofsvorsteher an die Bahnhofswache, die uns ebenfalls schriftlich davon in Kenntnis setzt.
    Was noch nicht geschehen ist. Es sei denn, der Bericht ist irgendwo hängengeblieben.»
    «Was machen wir jetzt?»
    «Wir fahren zum Bahnhof», sagte Tron. «Und reden mit dem Bahnhofsvorsteher. Mit Valmarana.»
    «Mit Ihrem Schulfreund, dem Schaffner? Dem Conte Valmarana?»
    «Valmarana ist befördert worden», sagte Tron. «Was ihm vermutlich gut in den Kram passt. Dann kann er sich besser um seine pensione kümmern.»
    «Er hat ein Hotel eröffnet?»
    Tron nickte. «Die Pensione Valmarana. Es soll sich um eine typisch venezianische pensione handeln.»
    «Feuchte Bettwäsche, schlechtes Essen und kleine Zimmer?»
    Tron grinste. «Und unverschämte Preise.»

5
    Elisabeth, in wollener Turnkleidung, an den Füßen Ballettschuhe aus
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