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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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Gefährlichkeit der Italiener und die Ineffizienz des militärischen Apparates nicht demonstrieren.»
    «Dann fasse ich noch einmal zusammen.» Der Kaiser legte den Federhalter aus der Hand, schloss die Augen und räusperte sich. «Punkt eins. Unser Agent tötet den Spezialisten, der mit dem Sprengstoff nach Venedig kommt, und gibt sich am Bahnhof für ihn aus. Punkt zwei. Er lässt die Gruppe auffliegen, indem er ein paar Spuren für die venezianische Polizei legt. Punkt drei. Er feuert auf mich aus einer Dachluke des Palazzo Reale.»
    Der Kaiser schloss abermals die Augen, nur blieben sie diesmal ein wenig länger geschlossen. Als er sie wieder öffnete, waren sie auf Oberst Hölzl gerichtet. «Und diese Platzpatronen? Kann man die mit echten Patronen verwechseln?»
    Oberst Hölzl gestattete sich ein fachmännisches Lächeln.
    «Das ist völlig ausgeschlossen, Majestät. Ich übergebe dem Mann das Gewehr und die entsprechende Munition persönlich.»

2
    Der Zug verließ pünktlich um acht Uhr abends den Bahnhof von Verona – sechzehn grüngestrichene Waggons, an denen zwei fensterlose Gepäckwagen hingen. Nur eine kleine Gruppe kaiserlicher Offiziere und ein Dutzend Zivilisten waren zugestiegen, froh, sich aus der feuchten Kälte des Bahnsteiges in die beheizten Coupés flüchten zu können.
    Die Anweisungen Oberst Hölzls waren äußerst präzise  gewesen. Er hatte den Mann ohne Schwierigkeiten erkannt und sofort das Abteil gefunden, in dem er saß. Da es sich um ein Coupé erster Klasse handelte, hing über den grünen Plüschsitzen, gut beleuchtet von zwei Petroleumlampen, eine Lithographie des Kaisers. Was er, wie immer man auch die Angelegenheit betrachtete, als durchaus passend empfand.
    Die angrenzenden Abteile waren frei geblieben, aber das spielte im Grunde keine Rolle. Er war darauf eingestellt, seine Arbeit geräuschlos zu erledigen. Zweifellos wäre die Operation in Gefahr geraten, wenn ein hoher Offizier trotz fehlender Reservierung darauf bestanden hätte, sich zu ihm und dem Mann in das Coupé zu setzen. Doch nachdem der Zug in Vicenza noch einmal kurz gehalten hatte und dieser Fall nicht eingetreten war, hatte er sich entspannt in sein Polster zurücklehnen können.
    Das Gesicht des Mannes, der ihm gegenübersaß und mit dem er nicht mehr als ein paar unverbindliche Worte gewechselt hatte, war unauffällig, glatt rasiert und ein wenig feist. Von einem Knopf seines Gehrockes baumelte ein Kneifer, den der Bursche hin und wieder aufsetzte, wenn er in dem Giornale di Verona blätterte. Die schwarze Binde um den linken Oberarm ließ auf einen kürzlich in der Familie erfolgten Trauerfall schließen, ebenso wie die herabgezogenen Mundwinkel des Mannes, und seine leichenblasse Gesichtsfarbe, die im Licht der Petroleumlampe ins Grünliche changierte, passte angesichts der Umstände besonders gut.
    Er schätzte ihn auf Mitte dreißig – ein Zivilist, wahrscheinlich nicht einmal Reserveoffizier und mit Sicherheit schlecht in Form. Männer mit rosigen Wurstfingern waren im Kampf keine ernsthaften Gegner. Es würde sich schnell und problemlos durchführen lassen, zumal der Bursche völlig ahnungslos war. Ein kurzer, wohlgezielter Schuss direkt zwischen die Augen – die Angelegenheit von ein paar Sekunden –, und der erste Teil der Operation wäre erledigt. So wie die Dinge lagen, würde sogar der Schalldämpfer, den er vorsichtshalber auf seinen Revolver geschraubt hatte, überflüssig sein. Vor ein paar Tagen hatte er noch einmal die Zeit gemessen und festgestellt, dass die Eisenbahn genau acht Minuten brauchte, um die nördliche Lagune zu überqueren – Zeit genug, um den Mann zu töten und seine Leiche anschlie ßend aus dem Coupé zu werfen, selbst wenn er unerwarteterweise auf Gegenwehr stoßen würde.
    Der Regen hatte hinter Padua eingesetzt und sich vor Fusina – wo die Eisenbahnbrücke über die nördliche Lagune begann – in einen veritablen Wolkenbruch verwandelt. Das Regenwasser schlug mit harten Tropfen gegen die Scheibe, lief in breiten Schlieren das Fenster herab und sickerte darunter hervor. Bei freundlicherem Wetter hätte er jetzt das Coupéfenster heruntergelassen, um einen Blick auf die schimmernde Lagune zu werfen und voller Freude den fauligen Salzgeruch einzuatmen, doch heute musste es leider geschlossen bleiben. Alles, was er in der Scheibe erkennen konnte, war das Spiegelbild des Mannes, der die letzten Minuten seines Lebens mit der Lektüre des Giornale verschwendete – einer
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