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Flossen weg

Flossen weg

Titel: Flossen weg
Autoren: Christopher Moore
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Groß und schlüpfrig. Nächste Frage?
     
    Amy nannte den Wal »Pummelchen«.
    Er war sechzehn Meter lang, breiter als ein Stadtbus und wog vierzig Tonnen. Ein wohlplatzierter Schlag seiner mächtigen Schwanzflosse könnte das Fiberglasboot mühelos zersplittern, und an die Besatzung würden nur noch rote Pfützen in den Fluten vor Hawaii erinnern. Amy beugte sich über die Reling und ließ das Hydrophon zum Wal hinunter. »Guten Morgen, Pummelchen« sagte sie.
    Nathan Quinn schüttelte den Kopf. Er musste aufpassen, dass ihm bei Amys zuckersüßem Getue nicht übel wurde, während er verstohlen einen Blick auf ihren Hintern warf und sich dabei ein wenig schäbig fühlte. Wissenschaft konnte eine komplexe Angelegenheit sein. Nate war Wissenschaftler. Amy war ebenfalls Wissenschaftlerin, aber in Khaki-Shorts sah sie einfach umwerfend aus, rein wissenschaftlich betrachtet.
    Unter ihnen sang der Wal, und das Boot vibrierte bei jedem Ton. Vorn am Bug fing die Reling an zu summen, und Nate spürte, wie die tieferen Töne in seinem Brustkorb widerhallten. Der Wal war bei einem Teil des Liedes angekommen, den man »die grünen Melodien« nannte, eine lange Tonfolge, die sich anhörte, als kurvte ein Krankenwagen durch Wackelpudding. Ein weniger geübter Zuhörer hätte vielleicht angenommen, der Wal sagte »Hallo« und freute sich des Lebens, wollte alle Welt wissen lassen, dass es ihn gab und er gut drauf war, aber Nate war ein erfahrener Zuhörer, vielleicht der erfahrenste von allen, und für seine geübten Ohren klang es, als sagte der Wal … tja, im Grunde hatte er keine Ahnung, was der Wal eigentlich sagte. Deshalb dümpelten sie ja hier draußen vor Maui in einem kleinen Motorboot herum und würgten um sieben Uhr morgens ihr Frühstück herunter: Niemand wusste, wieso die Buckelwale sangen. Seit fünfundzwanzig Jahren belauschte, beobachtete, fotografierte Nate die Tiere und piekste sie mit Stöcken, aber er hatte immer noch keine Ahnung, wieso sie eigentlich sangen.
    »Er ist bei seinen ›Ribbits‹«, sagte Amy, als sie den Teil des Walgesangs erkannte, der normalerweise kam, kurz bevor das Tier auftauchte. »Ribbit« war der wissenschaftliche Begriff für dieses Geräusch, denn genau so hörte es sich an – wie ein Quaken. Wissenschaft konnte manchmal ganz einfach sein.
    Nate spähte über die Reling und sah den Wal, der etwa fünfzehn Meter unter ihnen kopfüber im Wasser hing. Fluke und Brustflossen waren weiß, ein leuchtend blaues V im dunkelblauen Wasser. Das große Tier lag still, als schwebte es durchs All, wie der letzte Wächter einer ausgestorbenen Rasse Weltraumreisender, nur gab es Laute von sich, die eher zu einem daumengroßen Baumfrosch als zu einer archaischen Superrasse gepasst hätten. Nate lächelte. Er mochte die »Ribbits«. Der Wal schlug einmal kurz mit seinem Schwanz und war für Nate nicht mehr zu sehen.
    »Er kommt rauf«, sagte Nate.
    Amy nahm ihre Kopfhörer ab und griff sich die vollautomatische Nikon mit dem 300 mm-Objektiv. Eilig zog Nate das Hydrophon hoch und rollte das nasse Tau am Boden vor seinen Füßen auf. Er wandte sich dem Kontrollpult zu und ließ den Motor an.
    Dann warteten sie.
    Hinter sich hörten sie einen Wal ausblasen. Beide fuhren herum und sahen eine Säule aus Wasserdampf in der Luft hängen, aber sie war weit entfernt, gut dreihundert Meter hinter ihnen, zu weit, als dass es ihr Wal sein konnte. Das war das Problem mit diesen Gewässern zwischen Maui und Lanai. Es gab dort so viele Wale, dass es oft nicht einfach war, den einen, den man beobachtete, von den hunderten anderer zu unterscheiden. Die Menge der Tiere war Segen und Fluch zugleich.
    »Ist das da unser Bursche?«, fragte Amy. Alle Sänger waren männlich. Zumindest soweit sie wussten. Die DNS-Tests hatten es ergeben.
    »Glaub ich nicht.«
    Weiter links blies noch einer aus, erheblich näher. Nate konnte die weiße Fluke, die beiden Schaufeln seiner Schwanzflosse, unter Wasser sehen, selbst auf hundert Meter Entfernung. Amy startete ihre Stoppuhr. Nate schob den Gashebel nach vorn, und schon waren sie unterwegs. Amy drückte ein Knie gegen die Konsole, um sich abzustützen, und hielt die Kamera auf den Wal gerichtet, während das Boot durch die Wellen pflügte. Drei-, viermal würde er ausblasen, dann seine Fluke zeigen und abtauchen. Amy musste bereit sein, wenn der Wal tauchte, um ein gutes Bild von seiner Schwanzflosse zu bekommen, damit er identifiziert und katalogisiert werden konnte. Als sie
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