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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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Schmücken
der Braut, sondern auch das Porträt von
Antonia gestohlen worden waren, und als könnte diese Nachricht einen Einfluß
auf das Bild haben, betrachtete Sandra es lange und befragte es. Verblüfft
hatte sie die Höhe der Versicherungssumme erfahren und ungläubig zur Kenntnis
genommen, daß Kunsträuber ein Geschäft daraus gemacht hatten, dem Eigentümer
die Rückgabe der gestohlenen Werke anzubieten und dabei ein von ihnen so genanntes
Lösegeld zu fordern. Sandra wollte es nicht glauben, daß das Bild dieser Frau
einen Wert von einer Million Euro haben sollte. Auch wenn sie es sich nicht
eingestehen konnte: Die Höhe der Summe bestärkte sie in ihrer Abneigung.
    Was sie wunderte und mitunter ratlos machte, war
das Verhalten von Detlev. Er suchte die Nähe zu dem Porträt, er konnte vor ihm
sitzen, bewegungslos, sinnend, manchmal so aufmerksam, als erkundete oder
erwartete er da etwas. Einmal vermutete Sandra sogar, daß er Antonia eine
Frage stellte und ihr etwas zuflüsterte und danach traurig den Kopf schüttelte,
wobei sie den Eindruck haben konnte, Antonia hätte ihm eine Antwort gegeben. Es
geschah, daß Sandra darauf belustigt reagierte und nur sagte: „Verguck dich
bloß nicht in dieses Bild.“
    Enttäuscht aber und persönlich herausgefordert
fühlte sie sich an einem Sonntagmorgen. Gleich beim Betreten des Wohnzimmers
entdeckte sie das Bild, das hier am späten Abend oder in der Nacht aufgehängt
worden war. Es mußte heimlich geschehen sein, jedenfalls zu einer Zeit, als
Sandra schlief. Einen Augenblick empfand sie diese Frau als Eindringling, die
sich herausnahm, sie kühl und abwertend anzusehen, mit einer Überlegenheit, für
die es keine Erklärung gab. Auch wenn Sandra es sich nicht eingestand, unter
diesem Blick empfand sie plötzlich Haß. Sie rief Detlev. Mit anklägerischer
Geste deutete sie auf das Bild. Sie fragte: „Was soll das? Warum hängt sie
hier? Warum läßt du sie nicht in der Werkstatt?“
    „Das Bild bleibt nicht für immer hier“, sagte
Detlev, „für eine Weile können wir uns wohl daran gewöhnen.“ Darauf sagte Sandra:
„Ich würde mich freuen, wenn es wegkommt.“
    „Hab dich nicht so“, sagte Detlev, „dies Gesicht
wirst du wohl ertragen können. Es bleibt vorerst hier.“ Das war so schroff und
entschieden gesagt, daß Sandra ihn verstört ansah und den Raum verließ.
    Antonia blieb bei ihnen, sie sah auf den Frühstückstisch
herab und brachte sich bei offener Tür in Erinnerung, wenn Detlev auf seiner
Liege ruhte, Sandra entging nicht die Aufmerksamkeit, die er für Antonia
aufbrachte, und ebensowenig die Zuneigung, die er offenbar empfand. Ihr Gefühl
sagte ihr, daß Detlev sich angesichts des Bildes veränderte und daß sie selbst
Gefahr lief, etwas zu verlieren. In ihrer Erbitterung weinte sie. Sie lag auf
ihrem Bett und weinte ins Kopfkissen hinein. Wenn er sie zu beruhigen
versuchte und nach Gründen ihrer Verzweiflung fragte, bekam er keine Antwort;
worunter sie litt, behielt sie für sich. Zum ersten Mal erwog Detlev, das Bild
zurückzubringen und es an den Platz zu hängen, der immer noch unbesetzt war.
Noch während er diesen Plan bedachte, erhielt er unerwarteten Besuch. Ein Mann,
der sich Anwalt nannte, wünschte ihn in einer dringenden Angelegenheit zu
sprechen und schlug ihm ein Treffen in einem Restaurant vor. Beunruhigt
erschien Detlev an dem vorgeschlagenen Platz, denn er ahnte, daß man mit ihm
über das Bild sprechen wollte. Er täuschte sich nicht. Nachdem der Anwalt ihm
erklärt hatte, daß er im Auftrag eines Mandanten gekommen sei, gab er zu
erkennen, wieweit er eingeweiht war in den Diebstahl, und nicht nur dies: Sein
Auftraggeber hatte den Anwalt ermächtigt, für die Beschaffung des Kunstwerks
die Summe von vierhunderttausend Euro anzubieten. Detlev wollte nicht wissen,
woher der Anwalt seine Kenntnisse hatte, wollte auch nicht erfahren, wer das
Geld angeboten hatte; während des Gesprächs konnte er sich nicht entscheiden.
    Antonia blieb bei ihnen, und jeden Tag mußte er
erleben, wie Sandra unter der Anwesenheit des Bildes litt, welche
Ausdrucksformen der Abneigung ihr einfielen oder der Erbitterung. Was ihm besonders
naheging, waren die drohenden Gesten, die sie manchmal im Vorübergehen äußerte,
eine warnend erhobene Hand, ein Kopfschütteln, und nicht zuletzt die
Augenblicke, in denen ein Weinkrampf sie heimsuchte; da begann er, Mitleid für
sie zu empfinden.
    Mit einem Aufruhr seiner Gefühle mußte er an jenem
Morgen
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