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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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fertig werden, als er Antonia gegenübertrat; noch bevor er ihr
zunickte, sah er, daß es nicht das Gesicht war, das er kannte, das er liebte.
Schnittstellen liefen über ihre Wangen, vom Auge bis zum Kinn, die Schnitte
schienen erbittert geführt worden zu sein, sie verunstalteten das Gesicht,
gaben ihm einen leicht grinsenden Ausdruck. Er stöhnte. Er stand und starrte
die Zerstörungen an, er ballte die Fäuste; einmal schrie er. Als müßte er auch
fühlen, was er sah, fuhr er mit einem Finger über ihre Schnittstellen, und
dabei glaubte er, einen unbekannten Schmerz zu spüren. Ein Wunsch nach
Vergeltung rührte sich. Entschlossen ging er ins Schlafzimmer. Sandra lag auf
dem Bett, sie hielt ein Kissen in beiden Händen und wimmerte. Er schrie nicht:
Was hast du getan? Erbittert fragte er: „Wie konnte das geschehen, du?“ Ein erneuter
Weinkrampf schüttelte sie, und Detlev erkannte, daß sie nicht in der Lage war,
zu erklären, was sie getan hatte. In ihrer Verzweiflung war sie unerreichbar.
Detlev gab es auf, sie zur Rede zu stellen. Er betrachtete sie, und auf einmal
wußte er, was er tun mußte.
    Zu günstiger Zeit brachte er das Bild in den
zweiten Saal zurück und hängte es an die immer noch unbesetzte Stelle. Mit
prüfendem Blick musterte er danach seine Antonia; sie schien einverstanden zu
sein.
    Wenige Tage darauf las er in der Zeitung, daß ein
offenbar reumütiger Kunstdieb ein gestohlenes Bild seinem Eigentümer zurückgebracht
hatte, in beschädigtem Zustand, aber wieder freigegeben zum Staunen, zur
Bewunderung.
     
    Die Maske
     
    Immer schon war es hier so: Kaum war der Sturm
vorbei, tauchten sie aus ihren Hütten und Häusern auf und streiften durch die
Dünen zum Strand hinab, erwartungsvoll, belebt von der Hoffnung auf
Finderglück. Als folgten sie einem Ruf, einer Aufforderung, so bewegten sie
sich; mitunter, wenn sie etwas Ungewöhnliches entdeckten, das der Sturm an den
Strand geworfen hatte, beschleunigten sie ihre Schritte. Ich hatte es oft
beobachtet.
    Das war auch in jenem Spätsommer nicht anders, als
ich die Semesterferien bei meinem Großvater verbrachte, bei Opa Klaas, wie wir
ihn nannten. Für die Einheimischen war er der Inselwirt. Wer in seinem
Gasthaus zu beliebiger Tageszeit etwas Belebendes bestellte - Rum oder Grog
oder Aquavit -, brauchte nie allein zu trinken, bei ihm, dem
Geschichtenerzähler, dem geduldigen Zuhörer. Da nach seiner Überzeugung alles
Existierende einen Namen haben mußte, nannte er sein Gasthaus Blinkfeuer. Es hatte
vier Gästezimmer, der größte Raum war der von ihm so genannte Festsaal; längst
vertrocknete Girlanden aus Herbstblumen sollten anscheinend den Festcharakter
beglaubigen. Während des Sturms benutzte eine bayerische Reisegruppe, die
sich mit dem Inselleben bekannt machen sollte, den Festsaal als Notquartier -
fröhliche Leute, die, als der Wind in immer heftigeren Böen den armseligen
Garten plünderte, zu singen anfingen und dabei die Schönheit ihrer Berge
feierten.
    Daß sich alles so beruhigen konnte in kurzer Zeit;
wie verausgabt rollte die See an, in der Luft spürte man eine ungewöhnliche
Stille der Erschöpfung, aber auf einmal waren auch wieder die Stimmen der
Seevögel zu hören, ihr ewiges Gezänk, ihre gellenden Warnrufe. Hier und da
traten Leute aus den Häusern, um nach dem Himmel zu sehen. Am Horizont zeigte
sich das graue Patrouillenboot der Küstenwache, langsam zog es vorbei, ein
Sinnbild der Sicherheit. Aber auch große Schiffe zeigten sich, die
Container-Riesen der Maersk, der Hapag-Lloyd und der China Shipping, sie waren
unterwegs nach Hamburg und ragten mit ihren Aufbauten und ihrer Ladung so hoch
auf, als pflügten sie über Land.
    Unterhalb des Blinkfeuer, dort, wo
die Wellen jetzt nicht mehr hinleckten, waren zwei Männer dabei, einen
metallgrauen Container zu untersuchen, der im Sturm über Bord gegangen war.
Bevor es ihnen gelang, den Container zu öffnen, war ich schon bei ihnen und bot
ihnen meine Hilfe an. Sie antworteten nicht, anscheinend, um mir zu verstehen
zu geben, daß es ihr Strandgut war und sie nicht bereit waren, gegebenenfalls
zu teilen. Ich fand heraus, daß der Container in Shanghai an Bord der China
Shipping gekommen und bestimmt war für ein Museum in Hamburg, mehr konnte ich
nicht herausfinden; der Adressat Museum
für Völkerkunde war so undeutlich
geworden, daß ich ihn lediglich erriet. Während ich den Männern bei ihrer
Arbeit zusah, versuchte ich mir vorzustellen, was der Container
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