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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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enthielt; ich
dachte an Seidenmäntel, an hauchdünnes Porzellan, dachte an Brettspiele und
kunstvoll geschnitzte Opiumpfeifen. Als ich bemerkte, wie schwer es den Männern
fiel, die Verschraubungen zu lösen, bot ich ihnen noch einmal meine Hilfe an,
und jetzt wurde mein Angebot mit einer Handbewegung angenommen. Keiner sagte
ein Wort, ratlos und verblüfft sahen wir uns an; in einer Sektion des
Containers, in einem Polster aus Fellen und Wolle, lagen da mehrere Masken, vor
allem Tiermasken. Einer der Männer hob sogleich die Maske eines Froschs vor
sein Gesicht und stieß belustigt einen Quaklaut aus. Auch der andere Mann paßte
sich eine Maske an, er gefiel sich offenbar als Pferd. Begeistert von unserem
Fund, probierten wir in raschem Wechsel verschiedene Masken an, lachten uns als
Schwein zu, meckerten als Ziegenbock, brummten als Bär; - prompter ist
Fröhlichkeit hier nie entstanden als an dem Tag, an dem der Sturm uns diesen
Container zum Geschenk machte. Obwohl ich die Männer nie zuvor gesehen hatte,
brachten die Masken es mit sich, daß eine unerwartete Nähe zwischen uns
entstand, wir klopften einander auf die Schultern, lockten und erschreckten uns
gegenseitig, spielten Furcht und Zuneigung. Auch wenn es nicht in unserer
Absicht lag: Was sich da unwillkürlich zeigte, waren Beispiele einer seltenen
Versöhnung von Tieren.
    Mit den Masken vor dem Gesicht, in der Absicht, uns
Opa Klaas zu zeigen und etwas zu trinken, gingen wir ins Blinkfeuer hinauf.
Bis auf eine Familie aus dem Pdieinland waren keine Gäste da. Nach einem
Augenblick der Überraschung schmunzelten die Erwachsenen und winkten uns
freundlich zu wie Bekannten, während der Junge sich hinter dem Rücken seines
Vaters verbarg. Opa Klaas grinste nur und fragte: „Wer schneit mir denn da ins
Haus?“, und nachdem ich erzählt hatte, woher die Masken stammten, sagte er -
und es klang wie das Wort eines Eingeweihten -: „Ja, ja, die China Shipping
Line.“ Ohne uns nach unseren Wünschen zu fragen, tischte er dann Bier und Klaren
auf, genehmigte sich das gleiche und trank, wie immer, auf guten
Inselaufenthalt. Bei dem Versuch, mitzutrinken, mußten wir die Masken ablegen,
und dabei erschien auf einigen Gesichtern ein Lächeln, das um Entschuldigung
bat.
    Ich hatte die Maske eines gutgenährten Drachen
gewählt, der sich allerdings nicht furchteinflößend oder warnend zeigte,
sondern zwinkernd, fast komplizenhaft. Von meinem Eckfenster konnte ich
beobachten, daß es keiner der Leute, die nun zum Blinkfeuer heraufkamen,
versäumte, einen Blick in den Container zu werfen. Erstaunt, erheitert deuteten
sie auf einzelne Masken, hoben einzelne heraus, setzten sie auf und ließen sich
von ihren Begleitern begutachten, schätzen.
    Und plötzlich sah ich Lene wieder. Sie trug Shorts
und Sandalen und, um ihr langes blondes Haar zu bändigen, ein Stirnband. Zwei
Mal hatte sie die Kajakmeisterschaffen der Insel gewonnen und ihren Sieg mit
einer doppelten Eskimorolle abgeschlossen. Sie war schön. Ihr Bild hätte gut
in eine Anzeige gepaßt, mit der für Inselfreuden im Sommer geworben wird.
Zögernd trat sie an den Container heran, schaute hinein, kramte einen Moment,
sortierte und entschied sich schließlich für die Maske einer Wildkatze, die,
wie ich dann bemerkte, Ähnlichkeit mit einem Tiger hatte. Gleich bei ihrem
Eintreten winkte ich ihr zu, doch bevor sie an meinen Ecktisch kam, sah sie
sich zuerst prüfend um, grüßte besonders einen athletischen Burschen, an dem
mir eine goldenen Halskette auffiel und der die Maske einer intelligenten Ratte
aufgesetzt hatte. Ich vermutete gleich, daß es Jonas war, der Schwimmlehrer.
    Lene fiel nichts anderes ein, als sich mit einem
Schnurrlaut an meinen Tisch zu setzen. Sie wies Bier und Klaren zurück und bat
Opa Klaas um Gin und Tonic. Ich wußte, daß ihr Vater Netzemacher war -
Grundnetze, Aalreusen, Stellnetze für Flachfische -, wußte auch, daß sie in
der Hochsaison eine Vertretung in der Lebensrettungsgesellschaft übernahm.
Interessiert betrachtete sie meine Maske und strich einmal zaghaft über die
Wange des Drachens. Lächelnd fragte sie: „Muß ich mich fürchten vor ihm?“
    „Noch nicht“, sagte ich.
    Da hier jeder befragt oder ausgefragt wird, erstaunte
es mich nicht, daß sie mich bat, ihr von mir zu erzählen; ihre Wißbegier
bestätigte nur, daß sie hierhergehörte. Wie lange mein Studium der Pädagogik
dauere, wollte sie wissen, um welche Inhalte es gehe, ob alles zu bezahlen sei,
und
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