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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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behutsam, in sicherer Umklammerung, und
da sie auch hingebungsvoll tanzten, gaben sie anderen ein Zeichen, es ihnen
gleichzutun. So etwas hatte das Blinkfeuer gewiß noch nie erlebt, denn was sich sonst, im gewöhnlichen
Leben, nicht beachtete oder nur Geringschätzung füreinander übrig hatte, fand
plötzlich zueinander und genoß die ungewöhnliche Zweisamkeit. Lene konnte
nicht ruhig sitzen, sie wippte, sie betrommelte leicht ihre Schenkel, sie
sprach den Text des Liedes nach, das Fiersen spielte, wobei ein suchender
Ausdruck auf ihrem Gesicht erschien, gewiß war sie auf der Suche nach Erinnerung.
Ich brauchte sie nicht förmlich aufzufordern, ich nickte ihr nur zu, und wir
beide tanzten. Wir tanzten nur einmal, denn bei dem Lied Fahr mich in die Ferne, mein blonder Matrose - einem langsamen Sehnsuchtslied - standen gleich mehrere
Gäste auf, man faßte sich bei den Hüffen und bildete einen Zug, einen
Schleppzug, und träge, aber gut gelaunt umrundete man Tische und Stühle. Mitunter
war ein Freudenruf zu hören. Es überraschte mich nicht, daß die Teilnehmer des
Schleppzugs am Ende des Liedes dem Bedürfnis nachgaben, sich zu umarmen, ich
hatte den Eindruck, daß man sich gratulieren wollte. Für Opa Klaas war dies der
Augenblick, das Wort zu nehmen. „Hört alle mal zu“, sagte er. Da er das Gefühl
hatte, daß man in förderlicher Stimmung sei, schlug er vor, die Maske des
Abends zu wählen. Die Verblüffung dauerte nicht lange; wie er selbst offenbar
vorausgesehen hatte, stimmte man ihm zu, durch Klatschen, durch Rufe. „Gut“,
sagte er, „gut - gut“, und dann kam er auf das Wort, das später noch von
anderen benutzt wurde: Maskenwahl. „Also schreiten wir zur Maskenwahl“, sagte
er und berief auch schon die Jury, bat Ingo Bornholt und Lene an einen
Richtertisch und ernannte sich selbst zum Vorsitzenden. Die Mitglieder der Jury
wurden aufgefordert, ihre Masken abzulegen. Ich war sicher, daß ich mit meinem
Drachen die Wahl gewinnen würde.
    Einzeln wurden wir aufgerufen, vor den Richtertisch
zu treten, nicht bei unserem Namen, sondern bei dem der Maske, die wir trugen:
Der Frosch bitte, die Ente, der Hund, der Drache, und wir taten es und wurden
eingeschätzt und ausgelegt und auch nach einem typischen Laut beurteilt, den
wir äußern sollten; mir ist dabei nur ein stoßweises Fauchen eingefallen.
    Nachdem alle Masken sich präsentiert hatten, begann
die Jury mit ihrer tuschelnden Beratung, und da es erkennbar war, wie schwer es
ihr fiel, sich zu einigen, versuchte Opa Klaas, sowohl die Urteilsfindung zu
erleichtern als auch die Geduldsprobe für alle zu verkürzen. Windstärke 11 hieß der
Klare, den er auffischte. Die Jury nahm das Angebot dankbar an, man trank sich
zu, ließ nachschenken, fand anscheinend Freude an dem Austausch von
Eindrücken, von Urteilen.
    Mein Drache hat nicht die Wahl zur Maske des Abends
gewonnen, auch der Frosch nicht, auch die Ente nicht. Was Opa Klaas als
Entscheidung der Jury bekanntgab, hinterließ Ungläubigkeit und Enttäuschung,
zumindest am Anfang. „Nach eingehender Beratung“, so verkündete er, „sind wir
zu dem Schluß gekommen, daß keine Maske es verdient, als Maske des Abends
ausgezeichnet zu werden. Jede bringt etwas zum Vorschein, jede steht für
etwas, für Tapferkeit ebenso wie für Treue, für List nicht weniger als für
Beharrlichkeit, eine hervorzuheben bedeutet deshalb auch, andere, und durchaus
Gleichwertige, zu übergehen. Alle bezeichnen etwas, alle schlagen uns vor, wie
wir uns am besten gegen die Welt behaupten können, welche Eigenschaff uns
hilft, ihr gewachsen zu sein.“ Opa Klaas hatte seine Zuhörer überzeugt, und
nachdem er ihnen die hier übliche Zeit zum Nachdenken gelassen hatte, erntete
er Zustimmung, die sich bei Einzelnen auch begeistert zeigte.
    Ohne Maske kam Cornelia an meinen Tisch. Mit einer
Kommilitonin von der Düsseldorfer Kunstakademie teilte sie sich ein Zimmer im Blinkfeuer. Gespannt
blätterte sie ihren Zeichenblock auf und zeigte mir, was ihr als Aufgabe
gestellt war. Gesichter der Insel sollte sie zeichnen, und es fiel mir leicht,
Kaufmann Madsen wiederzuerkennen und den Leuchtturmwärter Künzel,
selbstverständlich auch Opa Klaas. Warum sie mich zu den Inselgesichtern
rechnete, habe ich nicht erfahren, doch als sie mich um Erlaubnis bat, mich zu
zeichnen, stimmte ich zu und bedauerte sogleich, daß Lene aufstand und zu einem
anderen Tisch ging.
    Ich nahm meine Maske ab und legte sie vor mich hin.
Ich
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