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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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nicht alle,
aber einige von ihnen. Sie umdrängten mich, und ich gab ihnen Münzen, die sie
staunend betrachteten, dann fingen Sie an zu hopsen und zu tanzen, doch auf
einmal hielten Sie erschreckt inne. Ein Hornsignal, das mich auch in meinem
Traum erreichte, ließ sie innehalten.
    Ich fuhr auf. Lene saß schon aufrecht neben mir und
deutete auf das kleine Zelt des Strandwächters, neben dem eine Fahne wehte. „Ich
muß los“, sagte sie und sprang aus der Vertiefung und lief über die Dünen
hinüber zum Strand, wo sich einige Leute eingefunden hatten, auch Opa Klaas war
unter ihnen, er, der Erfinder der Kajakmeisterschaffen. Der alte bärtige
Strandwächter sagte mir, daß diesmal nur ein sogenannter Zwischenlauf
stattfinden sollte, jeder könne daran teilnehmen, auch Feriengäste, in einem
der Leihboote, die am Strand bereitlagen. Eine Leine, die zwischen zwei
Kanistern auf dem Wasser schwamm, bezeichnete die Startlinie.
    Opa Klaas, eine Leuchtpistole in der Hand, trat
heran und gab Anweisungen und ermahnte Teilnehmer und Zuschauer, und als er
mich entdeckte, winkte er mich gleich zu sich: „Zeig mal, was du kannst, Jan,
du kannst mein Kajak nehmen.“ Mit einem Schuß rief er die Teilnehmer an die
Startlinie, sechs Boote insgesamt. Die Teilnehmer grüßten einander mit einem
Heben der Hand, mit einem auffordernden Nicken oder mit einem Lächeln. Um
keinen Frühstart zu verursachen, bändigten sie ihre leichten Boote vor der
Startlinie mit kurzen, kräftigen Schlägen. Neben mir, wie festgewachsen, saß
Lene in ihrem Kajak, man konnte sie für ein Wasserwesen halten, das so zur Welt
gekommen ist. Beidhändig hielt sie ihr Paddel, stechbereit, einmal strich sie
leicht darüber hin, man konnte es als Ermunterung verstehen.
    Gleichzeitig mit dem Startschuß wurde die Leine
eingezogen, und der Wettkampf begann. Es war kein ruhiger Start. Plötzlich waren
da Schreie zu hören, Kommandos, Anfeuerungsrufe, sie kamen nicht vom Strand,
die Teilnehmer selbst waren es, die sich laut äußerten, die versuchten, einen
Druck loszuwerden, sich zu fordern, hochzuputschen. Auf gleicher Höhe mit Lene
sah ich, daß ihr Gesicht nicht nur Gelassenheit zeigte, sondern streng und
verbissen war, und ich hörte ihre Rufe, mit denen sie sich Kraft und Ausdauer
abverlangte, mitunter hörte es sich an wie ein Stöhnen, ein Ächzen. Ich
versuchte an ihr vorbeizuziehen, ich zog und schaufelte und tauchte so hastig
ein, daß ich nicht meinen Rhythmus einhalten konnte, es gelang mir nicht, sie
hinter mir zu lassen. Sie zog länger durch als ich, anscheinend auch
kraftvoller, und als ich bemerkte, daß sie mich mit Handzeichen anspornte,
empfand ich sie als meinen wichtigsten Rivalen. Doch nachdem ich eingesehen
hatte, daß sie uneinholbar war, gab ich nach, paddelte aus Mutlosigkeit nur
mechanisch weiter, und hatte mich bereits mit einem hinteren Platz abgefunden.
Aber auf einmal, als hätte Schwäche sie überkommen, ließ sie sich fallen, so
daß ich zu ihr aufschließen konnte, auf gleicher Höhe paddelten wir auf das
Ziel zu, gingen Boot an Boot durchs Ziel unter dem Beifall der Zuschauer am
Strand. Übermütig oder weil geschehen war, was sie insgeheim beabsichtigt
hatte, führte sie ihre Glanznummer vor, kippte seitwärts ab, tauchte prustend
wieder auf und saß in der gleichen Haltung in ihrem Kajak wie beim Wettkampf.
    Nach dieser Eskimorolle ließ Opa Klaas es sich
nicht nehmen, uns zu beglückwünschen, mit seinem üblichen Händedruck, der
länger als gewöhnlich dauerte, dabei schaute er jeden von uns so dringend an,
als erwartete er eine Erklärung. Nach dem Glückwunsch gab er uns zu verstehen,
daß wir nunmehr einen Wunsch frei hatten im Blinkfeuer, auf
Abruf. Ich gratulierte Lene, sie gab mir einen Klaps auf die Schulter.
    Wie von selbst entstand das Verlangen, mit ihr
allein zu sein, wir verständigten uns wortlos, gingen zum Blinkfeuer hinauf,
und ich brachte sie durch die Hintertür in mein Zimmer, einen ehemaligen
Abstellraum, in den man mir ein Bett hineingestellt hatte, ein ausladendes
Bett, in dem eine ganze Inselfamilie Platz gefunden hätte. Lene setzte sich
nicht, sie hechtete aufs Bett. Nacheinander hob sie die Bücher auf, die ich am
Kopfende gestapelt hatte, überflog die Titel, legte sich achselzuckend zurück
und sagte: „Ich habe Hunger, Jan!“
    Da bei Opa Klaas zu jeder Tageszeit belegte Brote
zu haben waren, holte ich aus der Glasvitrine in der Gaststube Brotscheiben mit
Jagdwurst, mit gebratener Makrele
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