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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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und mit Kräuterkäse, füllte ein Glas
Buttermilch ab und servierte Lene alles auf einem handbemalten Tablett. So
nachdenklich, wie sie aß, habe ich noch nie jemanden essen gesehen: Nach jedem
Bissen schloß sie die Augen, atmete kaum, saß regungslos da und abwartend,
nicht anders, als gelte es, etwas zu ergründen oder wiederzuentdecken, einen
erhofften Geschmack, ein vertrautes Aroma. Ich half ihr dabei, das Tablett
leer zu essen. Dann holte ich hervor, was ich unter meinem Pullover verborgen
hatte und was Lene aufjauchzen ließ: zwei Masken, die ich im Vorbeigehen aus
dem beschlagnahmten Stapel im Schrank genommen hatte - die Wildkatze und den
Drachen. „Damit wir uns wiedererkennen“, sagte ich. Wir setzten die Masken
auf, wir schnurrten und fauchten uns vergnügt an, wir spielten das Spiel, das
die Masken uns nahegelegt hatten. Nachdem ich sie einmal rasch, wenn auch
ungenau, geküßt hatte, sagte Lene: „Jetzt hat der Drache den Tiger geküßt“, und
ich sagte: „Ein Datum in der Evolution.“
    Wir lagen eng zusammen, und ich konnte nicht
aufhören, auf die Geräusche im Haus zu achten, auf Schritte, Stimmen, auf das
Schließen einer Tür. Lene spürte wohl meine Nervosität oder Besorgnis, sprach
leiser auf einmal, ohne ihre Liebkosungen zu unterbrechen. Sie fragte mich, ob
wir nicht zusammen verreisen sollten, Spanien, sie dachte an Spanien, dies war
das Land, das sie kennenlernen wollte. Sie hatte viel gehört über Spanien,
über die Schönheit des Landes und über die Freundlichkeit der Menschen, mit mir
wollte sie dieses Land entdecken. Auf ihren Vorschlag beschlossen wir, das
Geld, das wir durch gelegentliche Tätigkeit verdienten, sie bei ihrem Vater,
ich bei Opa Klaas, zu sparen. In unseren Plan verliebt, zweifelten wir nicht,
daß genug zusammenkäme. Eine stille Freude erfüllte uns, nun, da wir den Anfang
einer Gemeinschaft bestimmt, einen Teil unserer Zukunft bewirtschaftet hatten.
Lene sprang auf. Sie nahm die Maske ab und schob sie unter mein Kopfkissen. Mit
einem Ausdruck schmerzlichen Bedauerns sagte sie, daß sie nun leider gehen
müsse, man erwarte sie zu Hause. Ich hielt sie fest. Erst nachdem wir uns für
den nächsten Tag verabredet hatten, an ihrem Lieblingsplatz auf der Düne, ließ
ich sie gehen. Heftiger wurde ich nur selten geküßt. Durch das Fenster sah ich
ihr nach, wie sie davonging, sah, wie sie beim Gehen ab und zu kleine Hüpfer
einlegte, ein Ausdruck ihrer Freude, so kam es mir vor. Den beiden Entenjägern,
denen sie begegnete, wünschte sie Glück, indem sie ihnen einen gestreckten
Daumen zeigte.
    Noch während ich ihr nachblickte, kam Opa Klaas zu
mir herein; bevor er sich auf den einzigen Stuhl setzte, sah auch er durchs
Fenster, murmelte etwas und schüttelte sacht den Kopf. Er hatte mir etwas zu
sagen. Der bedenkliche Ausdruck seines Gesichts ließ mich ahnen, daß er Kummer
hatte. Bevor er mir den Grund seines Besuches nannte, bat er mich, ihn zu
verstehen: „Du mußt mich verstehen, Jan.“ Nicht nur ihm, auch anderen sei aufgefallen,
daß sich da etwas anbahne zwischen Lene und mir. An und für sich habe er nichts
dagegen, sagte er, Lene sei eine Erscheinung, die viel für sich hat, die man
gern anschaut; so drückte er sich aus. „Du mußt aber wissen, Jan, daß sie die
Tochter von Albert Jensen ist, dem Netzemacher.“ Eine Weile zögerte er
weiterzusprechen, dann aber vertraute er mir bekümmert an, daß Albert Jensen
sein Schuldner sei, sein größter Schuldner. „Mehr als einmal, Jan, habe ich
schon an Zwangsvollstreckung gedacht. Diesen Schritt kann ich nicht gehen,
schließlich sind Albert und ich Schulfreunde!“ Ich weiß nicht, was genau er
nach diesem Bekenntnis von mir erwartete, ich vermutete lediglich, daß er mir
anheimstellte, meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Als er ging, noch bei offener
Tür, nickte er mir auffordernd zu und sagte: „Ich hoffe, daß du mich verstanden
hast.“ Ich mußte an Lene denken, an unsere Verabredung auf der Düne, und ich
stellte mir vor, wie ihr Vater reagieren könnte, wenn er erfuhr, daß sie schon
wieder mit einem aus dem Blinkfeuer verabredet war; als Schuldner ist man off nicht gut
zu sprechen auf den, in dessen Schuld man steht. Um nicht mit leeren Händen an
ihrem Lieblingsplatz zu erscheinen, ging ich zu Madsen und kaufte eine Tüte
Karamellbonbons, für alle Fälle auch einen Riegel Bitterschokolade.
    Zwei Männer von der Küstenwache, die ich sogleich
wiedererkannte, erregten meine Neugier. Sie
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