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Zugzwang

Zugzwang

Titel: Zugzwang
Autoren: Erwin Kohl
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    Sie sahen sich stumm in die Augen. Seit zwei Stunden saßen sie bereits in der Küche. Tauschten Argumente aus, ohne die des anderen zu akzeptieren. Britt und David gingen betrübt hinaus, sie schienen verstanden zu haben, womit ihr Vater sich nicht abfinden konnte. Im Türrahmen drehten sie sich noch einmal um und winkten ihm traurig zu.
    Das monotone Ticken der Küchenuhr schien ihm sagen zu wollen, dass seine Zeit abgelaufen war. Die eingeschaltete Spülmaschine untermalte die triste Stimmung. Er hielt ein Bild von ihrem letzten Urlaub in den Händen. Britt war so stolz, dieses Foto gemacht zu haben. Die Erinnerung wurde lebendig, lief wie ein Film vor seinen Augen ab. Sie spazierten durch Olivenhaine und endlos blühende Wiesen. Er spürte den sanften, warmen Wind dieses Sommerabends, hörte abertausende Grillen zirpen, die dem liebevollen Gesang der Vögel den passenden Hintergrund gaben. Die Musik der Toskana. Immer wieder hielten sie an und umarmten sich zärtlich. Mit schmalen Lippen und voller Melancholie legte er das Bild zurück.
    Ihm war zum Weinen zumute, aber irgendwas hielt ihn davon ab. Seine Frau stand auf und räumte die Tassen fort. Er verstand und ging wortlos hinaus.
    Hilflos blieb er im Türrahmen stehen, neben ihm zwei Koffer. Wochenlang hatten sie über ihre Entscheidung diskutiert, aus seiner Sicht ergebnislos. Er entschloss sich, noch einen letzten Versuch zu starten.
    »Janine, bitte! Die Wohnung ist doch riesig. Ich nehme das Zimmer im Giebel. Du wirst mich gar nicht wahrnehmen.«
    Sie sah ihn mitleidig an und schüttelte den Kopf.
    »Joshua, du hast nichts verstanden. Tausendmal habe ich versucht, es dir zu erklären. Selbst wenn du das Zimmer im Giebel hättest, würde ich jede Nacht wach liegen. Ständig diese Angst haben – kommt er, kommt er nicht? Lebt er vielleicht gar nicht mehr. Ich halte das nicht mehr aus. Verstehst du das denn nicht? Ich liebe dich, gerade deshalb halte ich diese Angst nicht mehr aus. Manchmal wünschte ich mir …, ich könnte aufhören, dich zu lieben.«
    Bei ihrem letzten Satz sah sie beschämt zu Boden. Nach einigen Sekunden der Stille blickte sie ihm in die Augen und sprach leise weiter.
    »Es muss doch nicht für immer sein. Vielleicht klappt es ja mit deinem neuen Job?«
    Joshua biss die Lippen zusammen. Er hatte verloren. Vorerst, aufgeben konnte er nicht.
    »Du wirst sehen, ich bin schneller beim LKA, als du denkst. Kannst meine Bettwäsche drauflassen.«
    »Dafür musst du dir aber noch ein anderes Outfit zulegen.«
    Mit einer Mischung aus Lachen und Weinen sah sie ihn dabei an. Während er seine Koffer zum Auto trug, dachte er noch über ihren letzten Satz nach. Er trug praktisch zu jedem Anlass eine Jeanshose und Jeansjacke oder wie jetzt, seine alte hellbraune Lederjacke. Die besaß er schon, als sie sich vor fünfzehn Jahren kennen lernten. Mittlerweile sah sie arg mitgenommen aus. Abgewetzte Ärmel, überall Kratzer, aber immer noch sein Lieblingsstück. Janine hatte ihm schon mehrmals neue Lederjacken geschenkt. Die hingen auch jetzt noch in seinem Schrank, sie wurden gar nicht erst eingepackt. Nur unter größtem Protest trug er zur Hochzeit einen Anzug. Sie warf ihm immer vor, er weigere sich, älter zu werden. Seine zotteligen, schulterlangen dunkelblonden Haare fand sie tagsüber altmodisch und nachts verwegen. Als sie früher noch ihre Motorräder hatten, war sie so stolz auf ihren hübschen Lover gewesen. Nach der Geburt von David vor zwölf Jahren wurden die Mopeds gegen ein Kinderzimmer eingetauscht. Sein Outfit behielt er bei. Als zwei Jahre später Britt zur Welt gekommen war, kauften sie sich mit kräftigen Zuschüssen ihrer Eltern diese riesige Altbauwohnung. Die Belastungen waren erträglich und sein Polizistengehalt erlaubte ihnen auch den obligatorischen Jahresurlaub in den Ferien. Sie reisten jedes Jahr nach Italien, dieses Land war ihre gemeinsame Leidenschaft. Das sonnige Mittelmeerklima, die italienische Küche und freundliche Menschen, die scheinbar frei von Sorgen leben, faszinierten sie. Die Toskana wurde dabei immer mehr zu ihrem Favoriten. Wenngleich sie den Kindern zuliebe in der Nähe des Meeres wohnen mussten und Ausflüge ins Landesinnere nur mit der Aussicht auf Unmengen von Eis akzeptiert wurden, kam niemand zu kurz.
    Joshua war Polizist aus Leidenschaft. Seine Karriere verlief außerordentlich steil. Vor vier Jahren wurde er zum jüngsten Hauptkommissar des Landes befördert. Nun sollte er versuchen, seinen so
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