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SchrottT (German Edition)

SchrottT (German Edition)

Titel: SchrottT (German Edition)
Autoren: Uwe Post
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Ruhrstadt, Sommer 2026
     
    Die Textur der Fliesen besteht aus grüner und schwarzer Kälte. Colin kann das Muster nicht komplett überblicken, weil er mit dem Gesicht nach unten drauf liegt und bestimmt gleich stirbt. Sein Bauch fühlt sich an, als befände sich etwas ziemlich Ekliges darin, aber vermutlich sind das lediglich seine Organe, die hektisch ihre Koffer packen für die Reise ins Jenseits.
    Colin will den Kopf bewegen, aber monströse Träume lasten zu schwer auf seinen Knochen. Ein unsichtbarer Elefant sitzt auf seinem Rücken und häkelt hoffentlich ein warmes Unterhemd, das Colin jetzt wirklich gut gebrauchen könnte, denn sein nackter Bauch friert auf dem kahlen Keramikboden. Ganz zu schweigen von seinem Unterleib. Anscheinend trägt Colin seine Boxershorts, jedenfalls meldet sein Hintern als einziges Körperteil kein Heimweh.
    Heimweh wohin? – Colin zieht die wenigen Schubladen seines Gedächtnisses auf, die gerade greifbar sind. Darin befinden sich keinerlei Wegbeschreibungen gen Heimat, keine Besitzurkunde eines netten Häuschens, keine Schlüssel einer hübschen Dreizimmerwohnung. Er findet lediglich einzelne Socken, zerlesene Mangas und angefangene Pillenschachteln.
    Die nächste Schublade klemmt etwas, und aus ihr dringt ein angenehmer Geruch. Es ist der Geruch des Erfolgs, und in der Schublade verbirgt sich ein Lied. Als Colin seiner habhaft wird, will er es singen oder wenigstens summen. Aber nur ein Keuchen dringt aus seiner Kehle, die trocken ist und rau.
    Er sollte sich etwas zu trinken suchen. Ja, diese Absicht fühlt sich gut und richtig an. Man soll sich Ziele setzen im Leben, sagt Colins Mutter immer. Etwas trinken, das ist ein gutes Ziel. Es mobilisiert Kräfte, übermenschliche Kräfte. Sie erlauben es Colin, den Elefanten von seinem Rücken zu werfen, den Bauch von den kalten, grün-schwarzen Fliesen zu heben.
    Colin schafft es nicht, seinen Oberkörper ganz hochzustemmen, aber er rollt sich auf die Seite. Weiter geht es nicht, denn sein Rücken trifft auf eine Wand. Eine zweite kann er jetzt sehen, sie begrenzt gegenüber seinen Lebensraum. Da sieht ein Mann auf ihn herab, freundlich und warmherzig.
    Colin will einen Gruß murmeln, wie es der Anstand gebietet, aber es gelingt ihm einfach nicht. Er sieht, dass der Mann seine Bemühungen wahrnimmt, denn er senkt kaum merklich den Kopf, erwidert den vergeblichen Grußversuch in mitfühlendem Minimalismus.
    Der Mann trägt einen ordentlichen Anzug, und daran ist ein Schild befestigt. Es kann nur ein Namensschild sein, folglich heißt der Mann Zweieinhalb.
    Ein heiseres Lachen stolpert durch Colins Rachen. Zweieinhalb reagiert nicht, wirkt apathisch und schweigt still.
    Unter Zweieinhalbs freundlichen Augen gelingt es Colin, sich weiter aufzurichten. Seine Organe purzeln durcheinander und beschweren sich über die Unterbrechung der Ausreisevorbereitungen. Colin kneift die Augen zu, spürt in Rumpf und Schädel Schmerzwellen, die es sich kurz vor der Resonanzkatastrophe anders überlegen und eine Frühstückspause einlegen. Als Colin die Augen wieder öffnet, fällt sein Blick auf die dritte Wand. Die ist mit einem kleinen Waschbecken und einem Wasserhahn ausgestattet. Trinken! Das Ziel vor Augen. Nun muss Colin nur noch die Entfernung dorthin überbrücken. Zentimeterweise verlagert er sein Gewicht, schiebt seinen Körper an der Wand entlang, sammelt Kräfte, stemmt sich hoch. Leider sind seinen Armen anscheinend die Muskeln abhandengekommen, aber irgendwie wird es schon gehen.
    Beinahe hat er es geschafft: Der silberne Knopf mit dem blauen Punkt, der einen kühlen, erfrischenden Wasserstrahl verspricht, ist fast in Reichweite. Aber Colin klammert sich mit beiden Armen am Waschbecken fest, und er müsste einen Arm lösen, um nach dem Knopf zu langen.
    Er überlegt, wie er das anstellen soll, ohne hintenüberzufallen. Er überlegt etwas zu lange.
    Ein metallisches Knallen lässt ihn zusammenfahren, er verliert den Halt, liegt schon wieder auf den Fliesen, grün, schwarz, grün, kalt.
    Die vierte Wand hat er bisher ignoriert. Schade, denn sonst hätte er die Tür gesehen, die offen steht. Dahinter Licht und zwei Schatten, die etwas Unverständliches murmeln. Langsam geht Colin auf, dass das laute Geräusch vom Öffnen der Tür herrührte, sie also vorher sicher geschlossen war. Die zwei Schatten treten näher, dahinter taucht ein dritter auf.
    »Spam!«, flucht einer. »Der ist im Arsch. Aber so was von.«
    »Bewahren Sie doch bitte
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