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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin
Autoren: Sabine Weigand
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begannen. Zugegeben, an diesem wunderbar warmen Dreikönigstag erinnerte
nichts an die grausigen Winter in alter Zeit, in denen die Menschen im Obermainland noch Angst vor den Naturgewalten und den wilden Tieren haben mussten. Ganz im Gegenteil, es war ein herrlicher Tag, fast aller Schnee war geschmolzen, und man konnte beinahe meinen, es sei schon Frühling.
     
    Kellermann lag halb aufrecht auf einer altmodischen Chaiselongue, umgeben von einem Wust von Kissen. Er laborierte seit einer Woche an einer schweren Bronchitis, und heute war der erste Tag, an dem er das Bett verlassen hatte.
    »Nur herein, herein. Schön, dass Sie mich besuchen, mein Lieber, ich komme um vor Langeweile.«
    »Kann ich verstehen«, nickte Haubold, »das ginge mir nicht anders. Ist der Husten inzwischen besser?«
    »Wird schon wieder. Ich trinke dreimal am Tag einen Absud vom schwarzen Winterrettich. Altes Hausrezept, das hilft ganz gut.«
    Der Kastellan stellte die große braune Aktentasche, die er dabei hatte, auf das Sofatischchen und packte aus. Zum Vorschein kamen vier fein säuberlich verschnürte Pappschoner, zwei speckig glänzende Folianten, ein kleines ledergebundenes Heftchen und diverse Umschläge. Kellermann bekam ganz glänzende Augen.
    »Ich habe auch was mitgebracht«, meinte Haubold, »sehen Sie, das hier ist alles, was ich im Dekanatsarchiv
zu den Jahren 1540 bis 1580 finden konnte. Die Tauf- und Sterberegister hab ich weggelassen, weil wir die ja ganz am Anfang schon durchgesehen haben.«
    »Prima, prima.« Kellermann setzte sich auf und klatschte in die Hände. »Na, dann wollen wir mal. Irgendein Hinweis auf diese Markgräfin Barbara oder den Hauptmann muss sich doch finden lassen. Schließlich war der Kulmbacher Superintendent Thiel während der Belagerung auf der Burg.«
     
    Die beiden Forscher machten sich über die Archivalien her. Die Sonne schien durch die Vorhänge des Wohnzimmerfensters und warf schräge Strahlen, in denen Staubkörnchen tanzten, auf das Sofatischchen. Als Haubold den ersten dicken Band aufschlug, wirbelte eine ganze Wolke winzigster Teilchen vor seiner Nase auf. Er blätterte und nieste. Es handelte sich um eine Predigtsammlung Georg Thiels aus den Jahren 1559 bis 1567 , in der sich keinerlei Hinweise auf Barbara, den Hauptmann oder das tote Kind fanden. Das Gleiche galt für den zweiten Folianten, in dem Betrachtungen zur Liturgie, zu Geburt und Taufe und zu diversen religiösen Fragestellungen standen.
    »Nix!« Haubold schwitzte. »Wie sieht’s bei Ihnen aus?«
    Kellermann hatte den Inhalt eines der Umschläge vor sich auf dem Bauch liegen. »Auch nichts bisher.
Das ist ein ganzer Haufen alter Rechnungen und ähnlicher Papiere. Reparaturen an Kirche und Pfarrhaus, Bestallung eines Einheizers, eine Beschwerde über das Holzdeputat. In den anderen Umschlägen waren Briefe an Thiel von anderen Theologen, Instruktionen des Markgrafen Georg Friedrich an ihn und so weiter. Ich hab alles überflogen, da drin steht nichts, was uns nützen könnte. Tja.«
    Haubold kippte das Fenster und zog seinen gestrickten Pullunder aus. Dann suchten die beiden weiter. Einer der Pappschoner enthielt ein Inventar des neu erbauten Kulmbacher Pfarrhauses in doppelter Ausführung, der andere ziemlich unleserliches Gekritzel, aus dem nur hervorging, dass es einen Streitfall zwischen zwei maßgeblichen Kulmbacher Gemeindegliedern wegen eines gestohlenen Bierfasses gab, in dem sich beide Parteien an den Pfarrer gewandt hatten.
    Irgendwann fing Kellermann an, auf seinem Sofa friedlich zu schnarchen, während Haubold unbeirrt weiter in den alten Akten schmökerte. Schließlich griff er sich das kleine schwarze Heftchen und fing an zu blättern. Fünf Minuten später rüttelte er aufgeregt an Kellermanns Schulter. Der schnappte einmal kurz und fuhr erschrocken hustend hoch.
    »Ich hab was gefunden«, verkündete Haubold und legte dem Pfarrer das aufgeschlagene Heftchen auf den Bauch. »Halten Sie sich fest! Ich glaube, wir
haben den Vater des Kindes: Der Thiel war’s selber. Lesen Sie nur.«
    Kellermann schnappte sich das Büchlein und las laut.
    »Montag Barbare nach dem ersten Advent anno 1552 O Herr mein gnädiger Gott hilf, ein Wunderliches und Seltzams geschieht mit mir. Item ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Weib angesehen. Ein frommer, treuer Priester bin ich gewesen Jahr und Tag … rein zu bleiben von fleischlicher Sünde ... nie viel Begierde und Anfechtung gespürt … Die Weiber schaute ich nicht
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