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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Nancy Etchemendy
Der Tempel am Fluß
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    F reund, du warst gut zu mir, obwohl ich ein Fremder bin, ein kranker Reisender mit wilden Augen von einem Ort, dessen Name in dieser Gegend keine Bedeutung hat. Ich kenne dich erst seit einer Stunde, aber ich glaube, du bist ein guter Mann und so stark, wie ich es einst war. Wenn du meinen Anblick eine Weile ertragen kannst, dann setz dich und hör zu. Vielleicht sind diese meine Worte wie Samen, die auf empfängliche Erde fallen, denn die Reise des Buches darf nicht hier enden.
     
    Man sagt, meine Mutter hätte viele Kinder verloren, bevor sie meine Schwestern Arain und Mera gebar. Wundervoll müssen sie ihr erschienen sein, denn ein gesundes Kind ist schon kostbar genug, aber zwei auf einmal sind ein Wunder. Meine Schwestern kamen zusammen aus ihrem Leib, ganz ähnlich zwei goldenen Weizenhalmen, die dem gleichen Samen entsprungen sind. Vom Tag ihrer Geburt an war ihr Haar weiß und strahlend, ihre Augen kühl und violett wie der Abendnebel am Fluß, und ihre Haut war wie makelloses Elfenbein. In der Stadt Handred sagte man, sie wären ein Omen, das von Feder geschickt wäre, und ihre Schönheit wäre das Zeichen Seiner Größe.
    Meine Schwestern waren gerade acht Jahre alt und ich ein Kind von zwei Jahren, als unsere Eltern von Räubern aus Nupask getötet wurden. Wir begruben unsere Mutter und unseren Vater selbst und machten ein Brandopfer mit ihrem Haar, damit Feder auf Handred herablächelte und unseren Frauen viele Kinder schenkte.
    Wir waren nicht von hoher Geburt und hätten leicht den Rest unserer Kindheit als Straßenkinder verbringen können, wären da nicht die Frommen der Stadt gewesen. Die Frommen schlossen Arain und Mera ins Herz, weil ihre Schönheit ein Zeichen der göttlichen Gunst war, und sie schlossen mich ins Herz, weil ich ihr Bruder war. Es mangelte uns nie an Essen oder einem warmen Lager.
    Eines Frühlingsabends kam eine große, bleiche Frau vom Tempel. Sie sprach lange mit Arain und Mera. Später erzählten sie mir, daß ihr Name Jana war und daß sie Oberin des Dienstes sei. Ich hatte von der Oberin gehört, ich wußte, wie wichtig sie war. Und mit der klaren Weisheit eines Kindes wußte ich, daß ihr Besuch unser Leben sehr verändern würde.
    Und so kam es auch. Denn nicht lange danach wurden Arain und Mera zur Großen Schule geschickt, und ich sah sie nicht mehr oft. Erst jetzt begann ich zu verstehen, daß sie anders waren als ich. Ich war gewöhnlich. Ich gehörte zu den Kindern auf den Straßen, die mich aufnahmen; meine Schwestern nicht. Und ich wußte, daß die Oberin nie zu mir kommen würde.
    Statt dessen kam der Alte Mathias. Er sah, daß ich zu jung war, um so oft allein zu sein, und nahm mich als Lehrling auf. Ich verdanke Mathias sehr viel. Ohne ihn hätte ich nie die Freude über guten Ton oder eine passend gewählte Glasur kennengelernt, die Befriedigung über eine wundervolle Form, die auf einer vertrauten Scheibe gedreht wurde, die Behaglichkeit einer Werkstatt, die von einem Brennofen gewärmt wird. Aber die Zeit, die Schulden zurückzuzahlen, ist lange vorbei, und mein Bedauern liegt in mir wie spitze Scherben.
     
    Freund, du warst gut zu mir, obwohl ich ein Fremder bin. Kirth ist mein Name, und ich wurde im Norden geboren, in der Stadt Handred am mächtigen Fluß Umbya. Zehn Meilen südlich dieser Stadt steht ein gewaltiges Gebäude am Fluß, der Tempel von Handred. Gebe Feder, daß er nicht gebaut worden wäre, denn er hat große Not verursacht.
    Dieses mein schäbiges Bündel, dieser verfluchte Artefakt aus dem Tempel, ist der Grund für meine Reise. Es ist Das Buch des niederen Gottes Makna, der bei den Alten McKenna hieß. Ich schwor, es in die Hände des Befehlshabers von Paradox zu legen, falls in dieser unglücklichen Gegend noch jemand lebt. Es ist ein Land, das nicht weit entfernt im Süden liegt. Aber ich habe versagt. Ich bin ein Mann, der die Sünden der Götter und die Dummheit der Menschen sah, und ich bin gebrochen und habe Angst vor dem Tod.
     
    Obwohl ich ihr Bruder war und sie bewunderte, waren Arain und Mera sich auf eine Weise nahe, an der ich keinen Anteil hatte. Sie waren fast wie ein einziger Mensch. Sie konnten mit den Augen miteinander sprechen. Eine konnte die halb ausgedrückten Gedanken der anderen vollenden. Sie sahen nicht nur gleich aus; ihre Geister folgten auch den gleichen Bahnen, durch Länder, die uns anderen unbetretbar erschienen. Doch gehörten Arain und
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