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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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Augenbrauen waren kaum sichtbar, während Kyrrispörrs Züge ausgeglichen schmal und die Augenbrauen geschwungen waren; ihre Haut war hell und rosig, während die seine leicht gebräunt war, so, als habe er sich gesonnt. Und sie hatte stämmige Schultern und kräftige Arme, mit denen sie zupackte, wenn es sein musste – eilig vertrieb Kyrrispörr die Erinnerung daran, wie sie ihn einst am Kragen über einen Suppenkessel gehalten hatte, nur so zum Spaß. Hier und jetzt nutzte ihre Kraft ihr nichts, dachte er. Hier und jetzt wollte sie seinen Rat, und den fürchtete sie.
    »Astrid Arnfinsdottir, weshalb bist du gekommen?«, fragte er und bemühte sich, möglichst getragen zu sprechen. Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Krächzen in der Stimme zu unterdrücken.
    Astrid druckste herum. Wie Hæricr es ihm vorgemacht hatte, wartete Kyrrispörr stumm und regungslos ab.
    »Mein … Bitte sag mir, sind die Götter meinem Kind gnädig gestimmt?«
    »Und das fragst du, die du dich doch von unserem König Olaf Tryggvason zum Christentum hast bekehren lassen? Sind unsere Götter noch die deinen?«
    Auch diese Worte hatte er von Hæric gelernt, und er war stolz darauf. Sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Astrid zuckte zusammen und starrte auf das Rentierfell.
    »Bitte …, wollt Ihr mir sagen, wie es um mein Kind steht …? Meine Mutter ist doch auch zu einem Seimanni gegangen vor meiner Geburt … Ich hab auch ein Fässlein Bier zum Dank mitgebracht …«
    Sie redete ihn schon mit ›Ihr‹ an, bemerkte Kyrrispörr. Es klang merkwürdig: So sprach man sonst nur mit Königen.
    »Bitte …«
    »Nun gut. Ich werde für dich weissagen.« Er nahm den brennenden Zweig, den sein Vater ihm über die Schulter hinweg reichte, und entzündete ein Talglicht. Ganz langsam öffnete er den Lederbeutel und zog mehrere fingerlange Holzstäbe hervor, in die Runenzeichen eingeritzt worden waren. Er breitete sie vor sich aus. Dann begann er, einen leisen Gesang anzustimmen, und bemühte sich, den Kontakt zu den Schicksalsgöttern herzustellen. Immer wieder aber fiel sein Blick dabei auf Astrid. Sie kaute sich auf den Lippen. Zog er es zu lange hin? Er bemühte sich, noch etwas kräftiger zu singen, und hob die Arme zur Beschwörung. Astrid begann, unruhig hin und her zu rücken. Eigentlich kein gutes Zeichen, denn das bedeutete, dass er sie nicht ganz hatte fesseln können. Mit aller Kraft musste er sich zur Konzentration zwingen. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, als er endlich spürte, dass die Spannung zwischen ihm und Astrid genau richtig war. Bedächtig, um den mühsam errungenen Zustand nicht zu gefährden, nahm er die Runenstäbe auf. Mit einem Ruck warf er sie auf das Fell, was Astrid zu einem erschrockenen Aufschrei veranlasste. Nun begann Kyrrispörr, einen Runenstab nach dem anderen aus dem Häuflein abzuzweigen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Astrid. Sie verfolgte atemlos jede Bewegung seiner Hand, stellte er fest. Ihr Mund stand offen vor Aufregung. Sehr gut.
    Unauffällig kippte er etwas aus einem kleinen Beutelchen in seine Linke und verbarg es in der Handfläche, rief sich die Bedeutungen der Runen und ihrer Kombinationen ins Gedächtnis, befragte seine Gefühle und forschte nach den Botschaften der Götter. Sicherheitshalber ging er alles zweimal im Kopf durch, bevor er Astrid seine Erkenntnis verriet. Ein Glück nur, dass sie nicht sehen konnte, wie heftig sein Herz vor Aufregung schlug …
    »Die prächtig geschmückte Eiche des Goldes wird dem Zahnfärber des Wolfes Nachkommen schenken«, flüsterte Kyrrispörr so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte. »Doch sind die Nornen sich nicht einig in ihrem Handeln. Ich lese Tag oder Nacht. Sie halten es mit Oins Weib Frigg: Sie schweigen.«
    Mit Erleichterung erkannte er den Erfolg seiner rätselhaften Worte an Astrids Stirnrunzeln. Jetzt musste er aus ihrer Verwirrung Verzweiflung machen. Er rückte die Stäbe mal hierhin, mal dorthin und trieb Astrid damit zur Weißglut. Am liebsten hätte die junge Frau ihn wohl an dem Kragen seines Kittels gepackt und durchgeschüttelt, ja, ihn vielleicht sogar angeschrien: ›Sprich weiter! Was ist denn nun! Nun verrate mir doch endlich das Schicksal meines Kindes!‹
    Wieder spürte Kyrrispörr die Anwesenheit seines Vaters im Nacken, seine Blicke, denen keine Regung entging. Er fragte sich, ob er zu weit gegangen war mit seinem ständigen Zögern. Wenn Astrid jetzt gar die Geduld verlor und aus dem Haus
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