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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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das er, in Stoff gewickelt, in seiner Gürteltasche mitgebracht hatte, und steckte es dem erfolgreichen Jäger in den Schnabel. Während Laggar es gierig herunterschlang, nahm Kyrrispörr die ledernen Geschühriemen und ließ den Falken auf seiner behandschuhten Hand Platz nehmen. Dann hängte er sich die Ente an den Gürtel.
    »Nun, Sohn?«
    Sein Vater Hæricr kam herbei. Zwar war Hæricr nicht sehr groß, sodass Kyrrispörr schon fast auf Kopfhöhe an ihn heranreichte, aber dafür hatte er breite Schultern, von denen Kyrrispörr nur träumen konnte. Manches Mal hatte er die Frauen von dem kantigen Gesicht, dem sorgsam gekämmten blonden Haar und ebenso gepflegten Bart schwärmen hören, wenn Hæricr nicht in der Nähe war. Eine Verehrerin hatte ihm gar eine silberne Fibel geschenkt, die nun den blauen Wollmantel auf den Schultern hielt.
    »Eine Ente!«, erklärte Kyrrispörr.
    »Gut!« Hæricr nahm ihm den Falken von der Hand, lächelte, als der Raubvogel gehorsam auf den Lederhandschuh hüpfte, und raunte:
    »Gut hast du das gemacht. Sehr gut, mein kleiner Laggar.« Damit hob er ihn vorsichtig auf seine Schulter, wo der Falke sich in die Wolle des Umhangs krallte.
    »Kyrrispörr, wir gehen zurück. Die Astrid Arnfinsdottir möchte wissen, ob sie ein gutes Kind bekommen wird.«
    Kyrrispörr nickte und trottete hinter seinem Vater her. Gern hätte er seinen Falken selbst getragen. »Weissagst du ihr jetzt gleich?« Kyrrispörr sah hoffnungsvoll zu Hæric hoch. »Dann kümmere ich mich um Laggar.«
    »Du nimmst dir die Astrid vor.«
    »Ich?« Kyrrispörr blieb vor Überraschung stehen. »Aber … die Astrid …« Eilig schloss er wieder zu Hæric auf, der sich um das Erstaunen seines Sohnes nicht kümmerte und weitergegangen war.
    »Ja, du.«
    Kyrrispörr fühlte sich auf einmal ganz miserabel. Er, der Astrid weissagen! Neidisch sah er zu Laggar auf Hærics Schulter hoch. Der Falke wiegte sich im Takt der Schritte. Wie gern hätte Kyrrispörr sich um ihn gekümmert, anstelle ausgerechnet der Astrid weissagen zu müssen …
    Kyrrispörrs Herz begann stark zu klopfen, als die Dächer der Langhäuser in Sicht kamen.
    Als sie das vorderste Haus betraten, umfing sie Dämmerlicht. Es beruhigte den Vogel auf Hærics Schulter nicht weniger, als es die junge Frau beunruhigte, die beim Eintreten der beiden Ankömmlinge erschrocken aufsah. Ihr Haar glühte im Sonnenlicht, das von oben durch das Rauchloch fiel und Astrid mit Helligkeit übergoss. Kyrrispörr biss sich auf die Lippen.
    »Ah, Astrid Arnfinsdottir.« Hæricr hob die Hand zum Gruße. »Bleib sitzen. Mein Sohn Kyrrispörr Hæricson wird dir das Glück deines Kindes weissagen. Einen Moment.«
    Damit stieß er Kyrrispörr an, sich umzuziehen. Hastig verschwand Kyrrispörr in dem mit einer Trennwand abgeteilten hinteren Bereich des Hauses und zerrte sich den Kittel über den Kopf. Er stieg aus den Hosen, schlüpfte in Unterzeug, die kratzigen Beinlinge und das knielange Sehergewand, schloss den Gürtel, band sich rasch die Lederstiefel zu und warf sich den schweren Umhang über. Klickend schloss sich die Messingfibel, die den Umhang auf der rechten Schulter zusammenhielt. Er trat wieder in den Hauptraum.
    Kyrrispörr schluckte. Seine Kehle war auf einmal ganz trocken. Ausgerechnet Astrid! Sie war älter als er und früh schwanger geworden. Ihn hatte sie sich immer gern als Ziel für ihren Spott ausgesucht. Ja, kürzlich hatte sie ihn heimlich mit den anderen Jungen in der Sauna beobachtet und als zierlichen Hänfling verspottet, als er zum Abkühlen zum Fluss gelaufen war.
    Reiß dich zusammen, dachte er sich. Jetzt bist du nicht der Junge Kyrrispörr, jetzt bist du der Seimar, Seher Kyrrispörr Hæricson, in dessen Hand das Schicksal liegt.
    Kyrrispörr spürte die Blicke seines Vaters im Rücken, als er würdevoll auf sie zutrat, sich im Schneidersitz am Rand des Rentierfells niederließ, das zwischen ihm und Astrid lag, und bedächtig den Lederbeutel mit seinen Seherutensilien neben sich stellte. Er bemühte sich, eine sachliche Miene aufzusetzen. Wie sein Vater es ihn gelehrt hatte, schwieg er einen Moment und musterte die junge Frau, die seinem Blick auswich. Sie war so ziemlich das genaue Gegenteil von ihm: Nicht nur war Astrids blondes Haar straff zu Zöpfen geflochten, wie es sich für eine verheiratete Frau gehörte, während seine braune Mähne frei bis auf die Schultern fiel. Auch war ihr Gesicht ein wenig rundlich, sie hatte eine Stupsnase und die
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