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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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Trinkspruch. Es begann nicht etwa zu Ehren der Götter, wie es üblich gewesen wäre, sondern zu Ehren des Gastgebers selbst. Denn während die Seher zum alten Glauben an die Götter Oinn, Þórr und viele andere standen, war König Tryggvason Christ. Er hatte daher nicht einmal das traditionelle Tieropfer veranstaltet. Der Unmut, den dies erregt hatte, war allerdings angesichts der köstlichen Speisen und des ausgezeichneten Mets rasch verflogen.
    Kyrrispörr hatte das Prunkhorn mit beiden Händen halten müssen, als es an ihn weitergegeben wurde. Der Met war genau richtig durchgegoren und besser als alles, was er je zuvor getrunken hatte: Er schmeckte süß wie reiner Honig und doch schwer und hinterließ bei jedem Schluck einen wohltuenden Schauer in der Kehle. Dazu gab es nicht etwa Kochfleisch, sondern einzelne, knusprig geröstete Stücke von Rind und Schwein, Schüsseln voller Möweneier und hervorragenden Quark, zudem Schwarzwurzel, kurz, es war ein Fest, wie Kyrrispörr es sich erträumte. Der Met packte Kyrrispörrs Gedanken in weiche Watte, kaum dass er das Prunkhorn weitergereicht hatte. Er griff eine fette Schwarte und biss genussvoll hinein.
    »Ein großartiges Mahl!«, rief sein Vater und prostete mit einem Tonbecher Eyvind Kelda zu, einem kräftigen Mann mittleren Alters, der von allen – wie es hieß, sogar vom König selbst – für seine Zauberkraft so hoch geachtet wie gefürchtet wurde. Eyvindr Kelda deutete ein Nicken an und erwiderte das Zutrinken mit dem Prunkhorn, das gerade an ihn weitergereicht wurde. Während Kyrrispörr Eyvind Kelda beobachtete, bekam er den Eindruck, als sei der Meisterseher mindestens so angespannt wie er selbst. Doch während Kyrrispörr selbst darauf lauerte, dass sein Vater ihn zum Ziel seines Spottes machte, konnte er den Grund für Eyvinds Anspannung nicht deuten. Zudem war die Stimmung bei allen anderen Gästen außergewöhnlich gelöst, schließlich war es das Versöhnungsmahl, das der König seinen Seimönnum zu Ehren ausrichtete. Aber Eyvind Keldas Blick huschte ständig über die dunklen Ecken des Langhauses.
    »Eyvindr Kelda sieht besorgt drein«, raunte Kyrrispörr seinem Vater Hæric zu. »Als würde er Gespenster im Schatten suchen.«
    Sein Vater rief laut: »Was? Du meinst, Eyv…« Er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass Eyvindr ihm schräg gegenübersaß, und verschluckte den Rest des Satzes.
    Kyrrispörr nickte und drehte ein Möwenei zwischen den Fingern. Hätte er seinem Vater nur nichts von seiner Beobachtung gesagt: Hæricr schüttelte sich vor Lachen.
    »Mein lieber Sohn, wenn sich ein Geist hierher verirren sollte, ist er ungefähr so dumm wie ein Huhn, das in einen Fuchsbau klettert! Ein Geist beim Gelage der Seimenn! He, mein Sohn sieht schon Gespenster!«
    Die Tischnachbarn erwiderten das Gelächter. Auch Eyvindr lachte laut, aber für die Dauer eines Herzschlags hatten seine Augen mit einem kühlen, fragenden Ausdruck auf Kyrrispörr geruht.
    »Kyrrispörr, du hast heute Abend der Astrid Arnfinsdottir ihr Kind geweissagt«, erklärte sein Vater. Alle sahen zu ihnen herüber. Am liebsten wäre Kyrrispörr vor Scham im Boden versunken. Er nickte und starrte auf das Möwenei in seiner Hand.
    »Ihr müsst wissen, mein Sohn hat es mit den Schicksalsgöttinnen, den Nornen«, fuhr Hæricr mit gespieltem Ernst fort und brach plötzlich in Gelächter aus. »Die gute Astrid! Ganz verschreckt hat er sie!«
    »Sie hat ihn wohl verschmäht, was?«, fragte einer der Männer, und die Tafel lachte.
    »Ich hatte doch nie was mit der«, murmelte Kyrrispörr, ohne gehört zu werden.
    »Und wisst ihr, wisst ihr, wie er sie genannt hat? Esche des Goldes!«
    »Eiche des Goldes«, verbesserte Kyrrispörr, aber auch dieser Einwurf ging im allgemeinen Gelächter unter.
    »Ach ja«, sein Vater wischte sich die Tränen aus den Augen, »Esche des Goldes war schon gut!«
    »Soll erstmal seine Esche zur Frau nehmen, dann wird er schon sehen, wie die ihm ihr Gold um die Ohren haut«, ließ sich ein Seher vernehmen. Kyrrispörr zwang sich, es schweigend über sich ergehen zu lassen und konzentrierte sich auf das Sprenkelmuster auf der Eierschale.
    »Mein Sohn ist schon ein Eschenfreund!« Hæricr hieb ihm mit solcher Wucht auf die Schulter, dass er prustete, und schon war seine Hand voller Möweneierschleim.
    »Hoho, seht, schon der Gedanke an die Astrid reicht, und er verliert die Beherrschung!«, brüllte Ulfbjörn, der Tischnachbar zu seiner Rechten, und
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