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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador
Autoren: Julia Drosten
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einen Arm um sie und zog sie an
sich. „Bist du glücklich, Emily?“
    „Natürlich.“ Sie schmiegte sich an ihn.
„Jetzt fängt doch alles erst richtig an!“
     
    André nahm eine Flasche Wein, zwei Gläser und
eine Öllampe von einem Tisch im hinteren Teil des Zeltes. Es war derselbe
schwere dunkle Wein, den er vor vielen Jahren mit Sibylla getrunken hatte, bei
ihrem heimlichen Rendezvous in der Ruine der portugiesischen Kirche. Er steckte
die Flasche und die Gläser in seine Jackentaschen und ging zu ihr.
    „Ich möchte dir etwas zeigen, aber dafür
musst du mitkommen“, sagte er. „Willst du?“
    Sie sah ihn von der Seite an und bemerkte den
Kranz von Fältchen, der um seine Augen tanzte und sich vertiefte, wenn er
lächelte, das lockige Haar, das nicht mehr dunkel, sondern von vielen grauen
Strähnen durchzogen war, und die schmale Narbe an seiner Schläfe. Die letzten
zwei Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen, aber gerade deshalb fühlte sie sich
ihm noch verbundener als früher.
    „Gern“, antwortete sie. Sein Lächeln
vertiefte sich. Er legte eine Hand auf ihren Rücken und schob sie durch die
Menge der Feiernden ins Freie.
    Draußen war es fast dunkel. Fackeln brannten
rund um das Zelt. Im letzten schwachen Licht des Tages sah Sibylla einen Mann
und eine Frau, die dicht nebeneinander auf dem Strand standen. Sie stieß André
leicht in die Seite und flüsterte: „Schau, dort sind Emily und Sabri.“
    Er folgte ihrem Blick. „Es sieht aus, als brauchten
sie uns zumindest heute nicht mehr.“
    „Und du?“, fragte sie mit klopfendem Herzen.
„Was willst du mir zeigen?“
    Mit einem verlegenen Grinsen zeigte er auf
den Hals der Weinflasche, der aus seiner Jackentasche ragte. Dann drehte er
sich vom Strand weg und wies mit der anderen Hand auf die Stadtmauer, wo sich
zwischen den flachen Dächern der Häuser die Ruinen der alten portugiesischen
Kirche erhoben. Die zerborstenen Mauern des Glockenturmes ragten schwarz vor
dem dunkelblauen Nachthimmel empor. „Erinnerst du dich, dass wir beide dort
einmal sehr glücklich waren?“
    „Wie könnte ich das je vergessen!“, flüsterte
sie.
    Er nahm ihre Hand und hob sie an seine
Lippen. Dann zog er sie mit sich fort vom Strand und dem Zelt, in dem die
Festgäste noch bis zum Morgengrauen das neue gemeinsame Leben von Emily und
Sabri feiern würden.
     
    Die Türangeln der alten Kirche quietschten
leise, als André sie öffnete. Im Inneren war es ganz dunkel. Es roch nach
Steinen und Staub, und vom Boden stieg nach der Hitze des Tages eine erfrischende
Kühle auf. Zwischen dem zerborstenen Dachgebälk des Kirchturms glitzerten die
Sterne. André streifte seine Jacke ab, legte sie auf den Boden und zog Sibylla
zu sich herunter. Im schwach flackernden Licht der Öllampe sah sie ihn
schemenhaft hantieren. Sie hörte einen Korken ploppen. Es plätscherte leise,
dann roch sie das feine Aroma des Weines.
    Er reichte ihr eines der Gläser. „Ich möchte
mit dir anstoßen, Sibylla. Auf die kommenden Jahre, die Zukunft und auf das
Leben, was auch immer es noch bringen mag.“
    „Ich weiß gar nicht genau, was das für mich
sein wird“, erwiderte sie grüblerisch, nachdem sie einen Schluck des schweren
Weines gekostet hatte. „Meine Kinder sind erwachsen und haben ihre eigenen
Pläne. Ich werde viel Zeit haben.“ Sie trank noch einen Schluck. „Ich könnte
meine Geschichte aufschreiben. Du weißt schon, die wahren und einzigartigen
Abenteuer einer englischen Kaufmannsfrau in Marokko.“
    „Das kannst du später machen“, entgegnete er.
„Ich finde, du solltest eine Reise unternehmen.“
    „Eine Reise?“, echote sie. „Wohin?“
    „Du hast eine Plantage auf Kuba geerbt.“
    „Oh Gott ja!“, rief sie aus. „Eine Plantage
und Sklaven! Aber warum willst du, dass ich dort hinfahre? Ich sollte lieber
alles so schnell wie möglich loswerden.“
    „Manchmal ist es besser, sich erst alles
anzusehen und dann eine Entscheidung zu treffen.“
    „Vielleicht hast du recht“, erwiderte sie.
„Aber ich sehe mich wirklich nicht als Sklavenbesitzerin.“
    „Man kann eine Plantage auch mit
Lohnarbeitern bewirtschaften.“
    „Das ist keine leichte Entscheidung“,
murmelte sie.
    Mit angehaltenem Atem wartete André, dass sie
weiterredete, aber sie schwieg, trank nur hin und wieder einen Schluck Wein.
    Er merkte, wie ihm das Herz eng wurde, da
fragte sie leise: „Angenommen, ich reise nach Kuba. Würdest du mich begleiten,
André?“
    „Ich dachte schon, das
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