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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador
Autoren: Julia Drosten
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die für ihn und Emily in der Mitte des Zeltes aufgestellt
worden waren, und bemühte sich, möglichst würdevoll und gelassen auszusehen. Es
war das Vorrecht der Braut, den Bräutigam warten zu lassen, aber er war so
nervös, dass er die Anspannung kaum noch aushielt. Um sich zu beruhigen, zählte
er die Eier, die seine Schwestern auf einem Tischchen zu einer kunstvollen
Pyramide gestapelt hatten – eines der vielen Symbole für Fruchtbarkeit und
Glück, die die Feier begleiteten. Hinter den Wandschirmen hörte er die Frauen
plaudern, vor ihm marschierte André in seiner Majorsuniform der Chasseurs
d’Afrique im Zelt auf und ab – angespannt, als wollte er eine Parade abnehmen.
Vor dem Zelt rannte eine Horde Kinder hin und her und schrie, dass sie den
Brautzug immer noch nicht sehen konnten.
    „Trink das! Du siehst aus, als könntest du
etwas zur Beruhigung deiner Nerven gebrauchen.“ Thomas hielt Sabri eine
Porzellantasse hin.
    „Das ist nett von dir, aber ich habe keine
Lust auf Tee“, wehrte er ab.
    „Nimm es, und trink!“
    „Ist das eine ärztliche Anordnung?“
    Thomas grinste. „Sozusagen.“
    Sabri führte die Tasse zum Mund und
schnupperte. „Jetzt verstehe ich“, sagte er und grinste ebenfalls.
    „Ein wenig Wein entspannt und beruhigt. Aber
du solltest dich beeilen. Dort hinten steht dein Vater.“
    Sabri setzte die Tasse an und leerte sie in
einem Zug. „Ah! Das hat gutgetan! Ich danke dir, mein Freund.“
    Wieder stürmte die Kindergruppe mit André
junior an der Spitze ins Zelt. „Sie ist da! Sie ist da!“, kreischten sie
durcheinander und zerrten Sabri von seinem Sessel. „Komm mit! Emily sieht
wunderschön aus!“
     
    Die Negafas hatten Emily geholfen, ihr
kostbarstes Gewand anzulegen, eine Takchita aus bodenlangem roten Brokat, den
Stickerinnen in Fès mit Spitzen, Perlen und Bordüren in ein wahres Kunstwerk
verwandelt hatten. Das Gewand besaß weite lange Ärmel, aber am Oberkörper lag
es eng an und war in der Taille mit einer breiten Schärpe gegürtet.
    Darüber ringelten sich Emilys schwarze
Locken, von ihren Ohren baumelten schwere goldene Gehänge, und um den Hals trug
sie die Glück verheißende Korallenkette, die die Mutter des kleinen Berberjungen mit dem gebrochenen Arm
ihr geschenkt hatte.
    In der von den vier prachtvoll
herausgeputzten Schwarzen getragenen Sänfte war sie eine Attraktion, wie man
sie in Mogador schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die vielen Schaulustigen,
die ihr zum Strand gefolgt waren, klatschten und jubelten, ohne zu ahnen, dass
das Kleid so schwer war, dass sie nicht ohne die Hilfe der Negafas in die Sänfte hatte steigen können. Jetzt gingen
Malika und Sabris älteste Schwester Koranverse singend direkt hinter ihr,
gefolgt von Almaz, Sabris anderen Schwestern und der ersten Frau Hadj Abduls.
    Gleich ist es so weit, dachte Emily, als der
Zug den Strand erreichte und die Mittagssonne die Kuppel des Festzeltes wie
flüssiges Gold erstrahlen ließ. Verstohlen blickte sie in ihre linke Handfläche
auf das feine Linienkreuz unter dem Zeigefinger. Vor fast zwei Jahren hatte
Malika ihr aus diesen beiden dünnen Linien die große leidenschaftliche Liebe
prophezeit. Sabri und sie hatten Schwierigkeiten und Hindernisse überwunden, so
wie Malika es vorausgesagt hatte, aber heute ging die Weissagung wirklich und
wahrhaftig in Erfüllung.
    Die vier Eunuchen betraten das Festzelt, um
Emily zu ihrem geschmückten Sessel zu tragen, und nun kamen auch die Frauen
hinter den Wandschirmen hervor und jubelten ihr zu. Emily sah ihre Mutter und
ihren Vater, ihre Brüder und Sabris Schwestern, Victoria, Oscar, Eugenie und
Arabella, viele Freunde und Bekannte, und alle freuten sich mit ihr.
    Dann entdeckte sie Sabri, der vor den
geschmückten Sesseln auf sie wartete und ihr die Hände entgegenstreckte, um ihr
aus der Sänfte zu helfen. Neben ihm stand Nadira mit einem Krug Mandelmilch.
Nachdem Emily ausgestiegen war, nahm Sabri ihre rechte Hand und drehte sie
behutsam nach oben, so dass sie eine Schale bildete. Nadira reichte ihm den
Krug, und er goss einen Schluck Mandelmilch in Emilys Handfläche, beugte sich
darüber und trank. Dann nahm sie seine Hand und wiederholte die Zeremonie.
    „Jetzt sind wir für immer verbunden“,
flüsterte Sabri ihr zu.
    „Ana behibak, ich liebe dich“, erwiderte sie
überglücklich.
     
    Danach halfen die Negafas Emily, hinter den
Wandschirmen eine weitere ihrer zehn Roben anzuziehen. Währenddessen wurden
draußen die Hammel und
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