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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador
Autoren: Julia Drosten
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Plantage zu bezahlen?“
    „Ich glaube, das kann ich erklären.“ Der
Moment, in dem Sibylla auch die letzte Wahrheit über ihren Ehemann enthüllen
musste, war gekommen, auch wenn sie gerade diese Wahrheit gern für immer
begraben hätte. „Euer Vater handelte nicht nur mit Leder, Gewürzen und
Elfenbein, sondern auch mit Menschen.“
    Nach und nach offenbarte sie die ganze
Geschichte. Sie begann mit Benjamins Verhaftung durch Kaid Hash Hash, erzählte
dann, wie sie mit André bei Sultan Abd Er Rahman für seine Freilassung gekämpft
hatte, weil sie an seine Unschuld geglaubt hatte, nur um wenig später durch
eine Spielzeugmurmel, die unter das zerstörte Fundament der Sonnenuhr gerollt
war, die schreckliche Wahrheit herauszufinden.
    „Euer Vater musste das Geld aus seinen
schändlichen Geschäften verstecken, da ihm der Sklavenhandel sowohl nach
englischen als auch nach marokkanischen Gesetzen verboten war. Aber im letzten
Oktober ist er zurückgekommen und hat es gesucht.“
    „Du hast uns damals erzählt, dass unser Vater
auf Geschäftsreise war“, murmelte Thomas. „Dabei saß er im Gefängnis.“
Erschöpft fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. „Was hast du eigentlich mit
dem Geld gemacht, Mutter?“
    „Ihr wart damals so klein, ich wollte euch
vor der Wahrheit schützen. Das Geld wollte ich nicht behalten, zu viel Elend
und Unglück klebte daran. Deshalb habe ich es für den Wiederaufbau von Mogador
gestiftet. Im Gegenzug hat Kaid Hash Hash verbreitet, dass sämtliche Vorwürfe
über den Sklavenhandel eures Vaters falsch waren.“
    „Und ich habe mich immer gefragt, woher du
das ganze Geld für den Wiederaufbau genommen hast!“, bemerkte John
kopfschüttelnd.
    „Ihr solltet unbelastet aufwachsen und euren
Vater in guter Erinnerung behalten. Leider ist mir das nicht gelungen“,
erwiderte Sibylla traurig.
    „Für mich bist du die beste Mutter, die es
gibt“, erklärte Emily fest und küsste sie.
    „Auch ich hätte versucht, meinen Kindern
diese Dinge zu ersparen!“, bekräftigte Victoria.
    „Du hast all die Jahre eine große Last für
uns getragen“, ergänzte Thomas, und John nickte nachdrücklich.
    Sibylla wischte sich mit einem Zipfel ihres
Schals die Augen trocken. Mehr als zwanzig Jahre hatte sie Benjamins
schmutziges Geheimnis bewahrt, hatte nie ein Wort darüber verloren. Aber erst
jetzt merkte sie, wie anstrengend das gewesen war.
    André ging zu ihr, nahm ihre Hände und zog
sie vom Diwan empor. „Die Vergangenheit liegt hinter dir“, sagte er und schloss
sie zärtlich in seine Arme. „Du bist frei.“

Kapitel
fünfunddreißig – Mogador im Juni 1862
     
    „Ich will nicht ins Bett gehen, Mummy!“
Charlotte zog ein Gesicht. Selwyn machte es ihr nach und maulte: „Ich bin auch
überhaupt nicht müde, Mummy!“
    Seit Victorias Rückkehr aus Lissabon hatten
sie es schon ein paarmal geschafft, ihre Mutter mit ausdauerndem Jammern zu
erweichen, doch heute war sie unerbittlich. „Wenn ihr jetzt nicht schlaft,
dürft ihr morgen nicht mit Hochzeit feiern. Und nun sagt Tante Emily gute
Nacht!“
    Nadira kam, um die Zwillinge zu übernehmen,
aber Victoria winkte ab. Sie wollte ihre Kinder selbst ins Bett bringen.
Während der sechsmonatigen Reise hatte sie sie furchtbar vermisst und
verbrachte nun jede Minute mit ihnen.
    Sie nahm Charlotte an der rechten und Selwyn
an der linken Hand und ging über die Dachterrasse von Sibyllas Riad zu Emily,
die auf einem Kissen saß, umringt von Sabris Schwestern und Malika.
    Charlotte betrachtete sie neugierig. „Warum
hältst du die Finger so komisch, Tante Emily?“
    „Weil die Muster auf meinen Händen noch
trocknen müssen. Seht ihr?“ Emily streckte ihre von der Hennaya mit kunstvollen
Mustern bemalten Handrücken aus.
    „Das sieht schön aus“, piepste Selwyn. „Wie
die Prinzessin aus meinem Märchenbuch.“
    Emily lachte. „An meinem Hochzeitsfest morgen
bin ich auch eine Prinzessin. Jetzt aber gute Nacht, ihr zwei!“ Sie winkte den
Zwillingen nach. „Träumt schön!“
    „Hast du Durst? Möchtest du Tee?“, fragte
Malika.
    Emilys Halbschwester und Sabris älteste
Schwester waren ihre Negafas, ihre unentbehrlichen Stützen und Helferinnen
während der dreitägigen Hochzeitsfeierlichkeiten, die gestern mit dem Besuch
des Hamam begonnen hatten und morgen Nacht mit einem rauschenden Fest am Strand
enden würden.
    Emily nickte dankbar, und Malika lief zu
Firyal und Nadira, die neben einem Tisch mit Kuchen, Früchten und süßen
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