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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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trotzdem, morgen zu kommen. Wir kreischen nicht wie Weiber an Wirtshaustischen.«
    Die Frau ging weg zum Parkplatz hin, und Franziska rief ihr nach: »Fang nicht zu trinken an allein, Marianne.«
    Sie ging mit ihren vollen Plastiktragetaschen weiter, an denen ein Griff durchriß, so daß sie die Hand darunterhalten mußte.
    Am Abend saßen die Frau und das Kind beim Fernsehen. Endlich sprang das Kind auf undschaltete den Apparat aus. Die Frau sagte verwirrt und überrascht: »Oh danke«, und rieb sich die Augen.
    Es läutete an der Tür; das Kind lief hin, und sie erhob sich wie benommen. Durch die offene Tür kam rasch der Verleger herein, ein massiger und zugleich ein wenig zappeliger Mann von etwa fünfzig Jahren, der beim Sprechen die Gewohnheit hatte, immer näher an den andern heranzutreten, wobei seine Stimme einen leichten Akzent annahm. (Es schien für ihn jedesmal um etwas zu gehen, und er entfaltete sich nur, wenn es gelang, ihn spüren zu lassen, daß er sich nicht zu beweisen brauchte. Auch denen, mit denen er am vertrautesten war, begegnete er immer von neuem mit der Fahrigkeit eines aus dem Schlaf Gerissenen, der erst, wenn er ganz wach geworden ist, wieder zu sich findet. Wo er auch war, trat er auf, als sei er der Gastgeber, und seine sich selber immer wieder sichtliche Rucke gebende und dadurch erst recht befremdende Kontakt-Freudigkeit wich nur durch die Ruhe eines Gegenüber einer Gelöstheit, in der er sich dann von seine ständigen Kommunikationsbereitschaft zu erholen schien.)
    Er hatte Blumen in der einen Hand, ein Flasche Champagner in der andern.
    Er sagte: »Ich wußte, daß Sie allein sind, Marianne. Ein Verleger muß zwischen den Zeilen eines Briefes lesen können.«
    Er reichte ihr das Mitgebrachte: »Zehn Jahre! Erkennen Sie mich denn überhaupt wieder? Ich weiß jedenfalls noch alles von Ihrer Abschiedsfeier damals im Verlag, Marianne. Und besonders erinnere ich mich an einen bestimmten Duft von Maiglöckchen hinter einem bestimmten Ohr.«
    Das Kind stand dabei und hörte zu. Die Frau fragte: »Und was riechen Sie heute?«
    Der Verleger zog die Luft ein.
    Die Frau: »Das ist Rosenkohl. Noch Tage später ist dieser Geruch in den Schränken. Aber die Kinder essen dieses Gemüse so gern. – Ich hole zwei Gläser für den Sekt.« Der Verleger rief: »Kein Sekt! Champagner!« Und sehr schnell, in einem ändern Ton: »Was ist übrigens das französische Wort für ›Rosenkohl‹?«
    Die Frau sagte: »Choux de Bruxelles.«
    Der Verleger klatschte: »Prüfung bestanden! Ich habe Ihnen nämlich den Erfahrungsbericht einer jungen Französin mitgebracht, wo naturgemäß viele solcher Ausdrücke vorkommen. Sie können morgen zu übersetzen anfangen.«
    Die Frau: »Warum nicht gleich heute nacht?«
    Der Verleger: »Maikäfer flieg.«
    Die Frau: »Wie kommen Sie auf den Maikäfer?« Der Verleger: »Wahrscheinlich dachte ich an die Maiglöckchen.«
    Die Frau lächelte nur: »Machen Sie die Flasche auf?« Sie ging mit den Blumen in die Küche. DerVerleger rüttelte an dem Champagnerkorken; das Kind schaute zu.
    Sie saßen im Wohnraum und tranken; auch das Kind trank ein wenig mit. Nach einem sehr feierlichen Anstoßen streichelte die Frau das Kind, und der Verleger sagte: »Ich hatte ohnedies in der Gegend zu tun. Einer meiner Autoren wohnt in der Nähe. Er macht mir Sorgen; ein schwieriger Fall. Er schreibt nichts mehr, und ich fürchte, daß auch nichts mehr kommt. Der Verlag unterstützt ihn natürlich monatlich, bis zur Verantwortungslosigkeit. Ich habe ihn heute abend bedrängt, wenigstens seine Autobiographie zu verfassen – Erfahrungsberichte sind sehr gefragt. Aber er winkt nur ab; er redet mit niemandem mehr, stößt nur noch Geräusche aus. Er hat ein furchtbares Alter vor sich, Marianne, ohne Arbeit, ohne Menschen.«
    Die Frau sagte seltsam heftig: »Sie wissen doch nichts von ihm. Vielleicht ist er manchmal glücklich.«
    Der Verleger wandte sich an das Kind: »Jetzt zaubere ich dir den Korken da vom Tisch weg.« Das Kind schaute auf den Tisch. Der Verleger zeigte mit der einen Hand in die Luft und sagte: »Da fliegt er.« Aber das Kind blickte weiter fest auf den Korken, so daß der Verleger den Arm wieder sinken ließ.
    Er sagte schnell zu der Frau: »Warum verteidigen Sie den Mann?« Die Frau kitzelte wie als Antwortdas Kind; küßte es auf den Scheitel; hob es auf die Knie; umarmte es.
    Der Verleger: »Sind Sie nicht gern mit mir zusammen? Ich habe das Gefühl, Sie beschäftigen sich
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