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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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mich?«
    Die Verkäuferin trat zu der Frau ans Fenster und sagte: »Ich stelle mich in meiner Mansarde auch oft an die Dachluke, nur um die Wolken zu sehen. Da spüre ich dann, daß ich noch lebe.«
    Sie schaute auf die Uhr, und die Frau wandte sich sofort an den Verleger, der mit Franziska langsam vorbeitanzte: »Sie muß zu ihrem Kind.«
    Der Verleger legte sich vor Franziska die Handunters Herz; verbeugte sich vor der Verkäuferin.
    Er sagte sehr ernst zu der Frau: »So haben wir uns also wieder nicht bei Tageslicht gesehen!«
    Sie gingen zur Tür, der Fahrer ihnen nachstolpernd und mit den Autoschlüsseln klimpernd, die der Verleger ihm dann abnahm.
    Als die Frau hinter ihnen die Tür geschlossen hatte und in den Raum zurückkam, saß Franziska allein und zog an ihren kurzen blonden Haaren. Die Frau schaute sich nach Bruno und dem Schauspieler um, und Franziska machte ein Zeichen, daß die beiden unten im Keller seien. Die Musik war zu Ende, und man hörte das Geräusch von Tischtennisbällen. Franziska und die Frau saßen einander gegenüber; der Wind auf der Terrasse bewegte die Schaukelstühle.
    Franziska: »Die Verkäuferin und ihr Säugling! Und du und dein Kind! Und morgen ist wieder Schule! Eigentlich beklemmen mich Kinder. Manchmal sehe ich ihnen an, daß sie mich töten wollen, mit ihren Stimmen, mit ihren Bewegungen. Sie schreien durcheinander, stieben hin und her, bis man am Ersticken ist und todschwindlig wird. Was hat man denn von ihnen?«
    Die Frau, die den Kopf wie zustimmend gesenkt hatte, antwortete nach einiger Zeit: »Vielleicht einige Nachdenkmöglichkeiten mehr als ohne sie.«
    Franziska hielt ein Kärtchen in der Hand und sagte: »Im Weggehen hat mir dein Verleger seine Adresse zugesteckt.« Sie stand auf: »Jetzt möchte sogar ich einmal allein sein.«
    Die Frau legte den Arm um sie.
    Franziska: »Das ist schon besser.«
    An der offenen Tür, im Mantel, sagte sie: »Ich habe meine Spione, die mir erzählen, daß du mit dir selber redest.«
    Die Frau: »Ich weiß es. Und diese Selbstgespräche gefallen mir so sehr, daß ich sie noch übertreibe!«
    Franziska, nach einer Pause: »Mach die Tür zu. Du erkältest dich sonst.« Sie ging langsam die Gasse hinauf, einen Schritt nach dem andern, den Kopf vorgeneigt; eine Hand hing ihr nach hinten, als zöge sie einen vollbepackten Caddie hinter sich her.
    Die Frau kam in den Keller, wo Bruno und der Schauspieler waren. Bruno fragte: »Sind wir die letzten?«
    Die Frau nickte.
    Bruno: »Wir spielen nur noch den einen Satz zu Ende.«
    Sie spielten sehr ernst, während die Frau, die Arme verschränkt gegen die Kühle im Raum, ihnen zuschaute.
    Sie gingen zu dritt die Treppe hinauf.
    An der Garderobe zog Bruno sich an; der Schauspielerdann auch. Bei seinem ärmellosen Pullover wollte er den Kopf zuerst durch das falsche Loch stecken.
    Die Frau bemerkte es und lächelte.
    Sie machte die Tür auf.
    Bruno war schon im Mantel; der Schauspieler folgte ihm und sagte zu Bruno, er sei mit dem Auto da.
    Bruno blickte eine Zeitlang vor sich hin und antwortete dann: »Das ist gut. Ich bin nämlich ziemlich verschwitzt.«
    Die Frau stand in der Tür und schaute den beiden nach, wie sie die Gasse hinaufgingen.
    Sie blieben stehen und pißten nebeneinander, mit dem Rücken zu ihr. Im Weitergehen wollte keiner auf der rechten Seite sein, so daß sie immerzu die Seiten wechselten.
    Die Frau ging ins Haus zurück. Sie schloß die Tür und sperrte ab. Sie trug Gläser und Flaschen in die Küche; leerte die Aschenbecher; spülte. Sie rückte die Stühle im Wohnraum in die alte Ordnung; lüftete.
    Sie öffnete die Tür zum Kinderzimmer, wo das Kind sich gerade im Schlaf umdrehte, wobei ein Fußnagel, den Bruno ihm ungeschickt geschnitten hatte, innen an der Bettdecke kratzte.
    Sie stand vor dem Spiegel und sagte: »Du hast dich nicht verraten. Und niemand wird dich mehr demütigen!«
    Sie saß im Wohnraum, die Beine auf einen zweiten Stuhl gelegt, und betrachtete die Zeichnung, die der Fahrer dagelassen hatte. Sie goß sich ein Glas Whisky ein; schob die Ärmel ihres Pullovers zurück. Sie lächelte in sich hinein und schüttelte den Würfelbecher; lehnte sich zurück und bewegte nur noch die Zehen. Sie saß lange Zeit völlig still, wobei ihre Pupillen, stetig pulsend, immer größer und dunkler wurden; sprang plötzlich auf, holte einen Bleistift, ein Blatt Papier und fing selber zu zeichnen an: erst ihre Füße auf dem Stuhl, dann den Raum dahinter, das Fenster, den
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