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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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in einem Spiegelkabinett
    Sie schrie mit andern auf einer Achterbahn
    Und dann sah ich sie allein nur noch durch
    meine Wunschträume gehen

    Aber heute in meinem offenen Haus:
    der Telefonhörer auf einmal andersherum
    der Bleistift links neben dem Notizblock
    daneben die Teetasse mit dem Henkel nach links
    daneben der andersherum geschälte Apfel
    (nicht zu Ende geschält)
    Die Vorhänge von links aufgezogen
    Und die Haustürschlüssel in der linken Jackentasche
    Du hast dich verraten, Linkshänderin!
    Oder wolltest du mir ein Zeichen geben?

    Ich möchte dich IN EINEM FREMDEN E RDTEIL sehen
    Denn da werde ich dich unter den andern endlich allein sehen
    Und du wirst unter tausend andern MICH sehen
    Und wir werden endlich aufeinander zugehen
    Am Morgen traten die Frau und das Kind, nicht auffällig für den Berg gekleidet, der nicht sehr hoch war, aus dem Haus. Sie gingen durch die Gassen an den andern Bungalows vorbei; blieben einmal an einer der fast überall fensterlosen Fronten stehen, vor einer braunen Tür, neben der links und rechts zwei schwarzstielige Laternen angebracht waren, als sollten sie einen riesigen Sarkophag verzieren.
    Sie gingen auf einem sanft ansteigenden Waldweg, wo die Sonne nur als düsteres Licht durchschien. Vom Weg abbiegend, kletterten sie einen Hang hinauf, kamen an einem Fischteich vorbei, aus dem während des Winters das Wasser abgelassen war. Sie hielten vor einem Judenfriedhof mitten im Wald, wo die Steine halb in der Erde versunken waren. Weiter oben sirrte der Wind, in einem sehr hohen Ton, der fast den Ohren wehtat. Der Schnee wurde jetzt rein weiß, während weiter unten noch Rußkörner darauf gelegen hatten; statt Hundespuren jetzt Spuren von Rehen.
    Sie stiegen durch Unterholz bergan. Die Vögel sangen von überall her. Schmelzwasser rann laut in einem kleinen Bach. Von den Stämmen der Eichen wuchsen dünne Zweige heraus, an denen sich die einzelnen trockenen Blätter bewegten;von den Birkenstämmen hingen in Streifen weiße Rindenhäute und zitterten.
    Sie durchquerten eine Lichtung, wo am Rand sich Rehe aneinanderdrängten; aus dem nicht sehr hohen Schnee schauten noch welke Grasspitzen und bogen sich im Wind.
    Je höher sie stiegen, desto heller wurde es. Ihre Gesichter waren zerkratzt und verschwitzt. Oben – der Weg war nicht sehr lang gewesen – ließen sie sich im Windschatten eines Findlingsteins nieder und machten aus trockenem Reisig ein Feuer.
    Es war früher Nachmittag; sie saßen am Feuer und schauten in die Ebene hinab, wo es in der Sonne ab und zu von einem Auto blinkte; das Kind hatte den Kompaß in der Hand. Einmal flammte unten eine Stelle hell und weit und erlosch nach einiger Zeit wieder: ein geöffnetes Fenster unter vielen geschlossenen.
    Es war so kalt, daß die vom Feuer aufsteigenden Rauchwolken, kaum aus dem Windschatten heraus, sofort in Flocken aufgelöst wurden und auch schon verschwanden. Sie aßen Kartoffeln, die sie in einem kleinen Sack mitgenommen und in der Glut gebraten hatten, tranken heißen Kaffee aus der Thermosflasche. Die Frau wandte sich dem Kind zu, das bewegungslos in die Ebene schaute. Sie streichelte es leicht am Rücken, und als ob das jetzt das Nächstliegende gewesen sei, lachte es.
    Sie sagte nach einiger Zeit: »Einmal bist du so amMeer gesessen und hast stundenlang die Wellen angeschaut. Erinnerst du dich?« Das Kind: »Natürlich. Es wurde schon finster, aber ich habe nicht weggehen wollen. Ihr wart ärgerlich, weil ihr nicht ins Hotel konntet. Du hattest ein grünes Kleid an und eine weiße Bluse mit Spitzenmanschetten; dazu den breiten Hut, den du festhalten mußtest, weil so ein Wind war. An diesem Meer gab es keine Muscheln, nur runde Steine.«
    Die Frau: »Wenn du dich zu erinnern anfängst, kriege ich Angst, nachträglich bei etwas ertappt zu werden.«
    Das Kind: »Am nächsten Tag hat dich Bruno zum Spaß mit Kleidern und Schuhen ins Meer gestoßen. Du hattest braune Schuhe an, mit einem Knopf zum Schließen –«
    Die Frau: »Aber weißt du auch noch, wie du an einem Abend im Sandkasten vor dem Haus ganz still auf dem Rücken lagst?«
    Das Kind: »Davon weiß ich nichts.«
    Die Frau sagte: »Jetzt bin also ich es, die sich erinnert! Du hattest die Hände unter den Kopf gelegt und ein Bein angezogen. Es war Sommer, eine ganz klare Nacht, ohne Mond, die Sterne am Himmel. Und du bist auf dem Rücken im Sand gelegen und warst nicht ansprechbar.«
    Das Kind sagte nach einiger Zeit: »Vielleicht, weil es so ruhig war
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