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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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kichernd die Hand vor den Mund: »Am peinlichsten wird es sein, mit offenem Mund auf dem Totenbett zu liegen.«
    Er verschluckte sich am Tee.
    Die Frau sagte dann: »Du wirst heute nacht in Brunos Zimmer schlafen, Vater.«
    Der Vater antwortete: »Ich fahre ohnehin morgen.«
    Am Abend im Wohnraum schrieb die Frau; der Vater saß weiter weg bei einer Flasche Wein und sah ihr zu. Dann näherte er sich ihr; sie schaute auf, nicht gestört. Er beugte sich zu ihr: »Ich merkte gerade, daß dir an der Jacke ein Knopf fehlt.« Sie zog die Jacke aus und reichte sie ihm. Während sie weitertippte, nähte er ihr mit Nadel und Zwirn aus einem Hotelnähbriefchen den Knopf an. Er blickte wieder zu ihr hin. Sie merktees und schaute ihn fragend an. Er entschuldigte sich und sagte dann: »Du bist so schön geworden, Marianne!« Sie lächelte.
    Sie beendete ihre Arbeit; korrigierte noch ein wenig. Der Vater versuchte vergebens, eine neue Weinflasche zu öffnen. Sie kam ihm zu Hilfe. Er ging in die Küche, um auch ihr ein Glas zu holen. Sie rief ihm nach und erklärte, wo die Gläser seien; es war dann aber nur ein langes Rumoren zu hören, dann Stille, und sie folgte ihm schließlich, um ihm zu helfen.
    Sie saßen einander gegenüber und tranken. Der Vater machte ein paar Gesten. Die Frau sagte: »Sprich doch. Dazu bist du ja gekommen. Oder?«
    Der Vater gestikulierte wieder, winkte ab: »Wollen wir nicht ein bißchen hinaus?« Er zeigte in verschiedene Richtungen, erzählte dann: »Als du ein Kind warst, wolltest du nie mit mir spazieren gehen. Wenn ich nur das Wort ›Spaziergang‹ gebrauchte, wurdest du unlustig. Aber zu einem › Abend spaziergang‹ warst du sofort bereit.«
    Sie gingen in der Nacht auf der Zufahrtsstraße an den Garagen vorbei, wo noch hin und wieder die Kühlerhauben der Autos knackten, in Richtung der Telefonzelle. Davor sagte der Vater: »Ich muß schnell anrufen.« Die Frau: »Das kannst du doch bei mir.« Der Vater sagte nur: »Meine Gefährtinwartet!« und war schon in der Zelle. Er telefonierte, undeutlich hinter dem gerippten Glas, mit vielen Bewegungen.
    Sie gingen hügelan, an der schlafstillen Siedlung vorbei, aus der man nur einmal eine Klosettspülung rauschen hörte.
    Die Frau: »Was sagt sie denn, deine Gefährtin?«
    Der Vater: »Sie wollte wissen, ob ich meine Kapseln schon eingenommen hätte.«
    Die Frau: »Ist es noch dieselbe wie letztes Jahr?« Der Vater machte ein paar Gesten: »Die jetzige lebt in einer anderen Stadt.«
    Sie gingen am oberen Rand der Siedlung, wo der Wald anfing. Es schneite in kleinen Flocken, die raschelnd zwischen die trockenen Eichenblätter fielen und sich auf der Straße sammelten auf den zugefrorenen Lachen von Hunde-Urin.
    Sie blieben stehen und schauten auf die Lichter in der Ebene. In einem der Schachtelhäuser zu ihren Füßen fing jemand an, Klavier zu spielen: »Für Elise.«
    Die Frau fragte: »Bist du zufrieden, Vater?« Der Vater schüttelte den Kopf und sagte dann, als ob eine Geste als Antwort nicht genüge: »Nein.«
    Die Frau: »Und hast du eine Vorstellung, wie man leben könnte?«
    Der Vater: »Ach hör doch auf damit.«
    Sie gingen am Waldrand entlang weiter; die Frau hob manchmal das Gesicht, und die Schneeflockenfielen darauf. Sie schaute in den Wald hinein, wo nichts sich bewegte, so leicht fiel der Schnee. Weit hinter den schütter gesetzten Bäumen schimmerte ein Wasserbassin, in das dünn Wasser lief und innen hell widerhallte.
    Die Frau fragte: »Schreibst du noch immer?«
    Der Vater lachte: »Du willst fragen, ob ich bis an mein Lebensende weiterschreiben werde, nicht wahr?« Er wandte sich zu ihr: »Ich glaube, ich habe irgendwann einmal angefangen, in die falsche Richtung zu leben – ohne daß ich dafür den Krieg verantwortlich mache oder andere äußere Umstände. Wie eine Ausrede kommt mir inzwischen manchmal das Schreiben vor« – er kicherte – »manchmal natürlich auch wieder nicht. Ich bin so sehr allein, daß es am Abend vor dem Einschlafen oft niemanden gibt, über den ich nachdenken könnte, einfach, weil ich tagsüber mit niemandem zusammen war. Und wie soll man schreiben, wenn man niemanden zum Nachdenken hat? Andrerseits treffe ich mich zum Beispiel mit jener Frau vor allem, um im Fall des Falles beizeiten gefunden zu werden und nicht zu lange als Leichnam herumzuliegen.« Er kicherte.
    Die Frau: »Laß deine Neckereien.«
    Der Vater machte Gesten, zeigte dann in den Wald hinauf: »Von dem Berg dahinter sieht man gar
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