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Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Titel: Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Autoren: Cristin Terrill
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EINS
    Em
    Ich starre auf das metallene Abflussgitter in der Mitte des Betonbodens. Es war das Erste, was mir ins Auge sprang, als sie mich in diese Zelle sperrten, und seither habe ich kaum wieder weggeschaut. Als sie mich herbrachten, war ich trotzig. Ich schlurfte langsam in den dünnen Gefängnisslippern, die sie mir gegeben hatten, durch den Gang, sodass sie mich an beiden Armen mit sich zerren mussten. Aber als ich den Abfluss entdeckte, fing ich an zu schreien. Er wuchs in meiner Vorstellung, bis er alles war, was ich in der kleinen Zelle aus Betonziegeln sah. Ich trat nach den Männern, die mich festhielten, und versuchte, meine Arme aus ihrem Eisengriff zu befreien. Mir fielen nur die grauenhaftesten Gründe ein, weshalb sie einen Abfluss im Boden brauchten.
    Die Horrorfantasien, die sich mir am ersten Tag aufdrängten, sind nicht wahr geworden – jedenfalls noch nicht –, doch der Abfluss beherrscht nach wie vor mein Denken. Er ist wie ein schwarzes Loch für mich und zieht meine Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. Selbst jetzt liege ich auf der schmalen Pritsche mit dem Rücken zur Wand und starre auf dieses Ding, als gäbe es etwas, das ich aus ihm herauslesen könnte. Knapp fünfzehn Zentimeter im Durchmesser, mit zweiunddreißig kleinen Löchern und einer Vertiefung von der Größe einer Fünf-Cent-Münze in der Mitte.
    »Was machst du?« Die vertraute Stimme dringt wie von fern durch die Lüftungsöffnung heran.
    »Ich backe Kuchen.«
    Er lacht, und das Geräusch lässt mich lächeln. Ich bin ein wenig überrascht, dass meine Muskeln noch wissen, wie das geht.
    »Starrst du schon wieder auf den Abfluss?«
    Ich sage nichts.
    »Em, bitte«, sagt er. »Du machst dich damit nur selbst verrückt.«
    Aber ich habe etwas anderes im Sinn.
    Heute werde ich endlich das Geheimnis des Abflusses lüften.
    Irgendwann später höre ich die näher kommenden Schritte einer Wache. Es ist schwer, hier drin zu beurteilen, wie viel Zeit vergeht, so ganz ohne Uhr oder Fenster oder Tätigkeit, die den langen Fluss der Sekunden unterbricht. Alles, was ich habe, um die vergehende Zeit zu messen, sind die Gespräche mit dem Jungen in der Nachbarzelle und das An- und Abschwellen meines Hungers.
    Mein Magen knurrt beim Geräusch der Stiefel auf dem Beton; es ist, als würde die Glocke für einen Pawlow’schen Hund geläutet. Es muss Mittagszeit sein.
    Die schwere Tür aus Metall schwingt weit auf, sodass Kessler zu sehen ist, der Wachtposten, dessen Gesicht an ein schwelendes Feuer erinnert. Die meisten Wachen zeigen sich mir gegenüber gleichgültig, aber er hasst mich. Er grollt, glaube ich, weil man ihn zwingt, mich zu bedienen, mir mein Essen zu bringen und gelegentlich einen frischen Satz der blauen Kleidung, die man mich tragen lässt. Ich muss bei diesem Gedanken lächeln. Wenn er wüsste, woran ich gewöhnt war, bevor die Welt um uns herum zusammenbrach wie ein verrottetes Haus.
    Kessler hält mir das Tablett hin, und ich beeile mich, es ihm aus der Hand zu reißen. Wenn ich nicht schnell genug bin, lässt er es scheppernd zu Boden fallen, und das Essen spritzt in alle Richtungen. Die Demütigung, irgendetwas, das Kessler mir bringt, eifrig entgegenzunehmen, zerrt an meinen Eingeweiden, aber heute warte ich ausnahmsweise ungeduldig auf meine Mahlzeit. Natürlich nicht wegen des braunen, labberigen Essens auf dem Tablett.
    Sondern wegen des Bestecks, das daneben liegt.
    Kessler bedenkt mich mit einem verschlagenen, spöttischen Grinsen, bevor er die Tür meiner Zelle schließt. Sobald er weg ist, schnappe ich mir Löffel und Gabel vom Tablett und beginne sie zu untersuchen. Es ist kein Messer dabei, wie immer. Das pampige Essen muss nicht geschnitten werden, und sie fürchten wahrscheinlich, dass ich mit dem stumpfen Plastikgerät einen heroischen Ausbruchsversuch wage und damit auf die Männer mit den Maschinengewehren vor meiner Zelle losgehe.
    Ich stelle das Tablett beiseite und setze mich im Schneidersitz vor den Abfluss. Ich versuche es als Erstes mit der Gabel und drücke die Zinken gegen eine der Schrauben, die die Abdeckung fixieren. Wie ich vermutet habe, sind sie zu breit, um in den Schlitz zu passen, daher werfe ich die Gabel weg. Sie schlittert mit einem melodischen Pling über den Betonboden und landet neben dem Tablett.
    Meine einzige Hoffnung ist nun noch der Löffel. Ich drücke die runde Seite gegen dieselbe Schraube, und sie greift. Ich halte den Atem an, als könnte eine Veränderung des Luftdrucks
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